Sonntag, 17. Dezember 2006

1700 Meter über der Adria

Unterwegs in den Bergen und Nationalparks Kroatiens (29.04. - 11.05.2003)

8 Uhr morgens am Eingang II des Nationalparks Plitwitzer Seen: die ersten paar Schritte führen vor´s Denkmal des Polizisten Josip Jovic. Am Ostermontag, dem 31.03.1991 wurde er das erste Opfer des jugoslawischen Sezessionskrieges, dessen Spuren auf der Fahrt von Karlovac bis hierher immer noch zu sehen sind. Zersiebte Häuserfassaden, eingestürzte Dächer in den Dörfern entlang der Straße, die Karlovac über Knin mit der Küstenstadt Zadar verbindet. Hier war eine der am stärksten umkämpften Zonen im Bürgerkrieg. Das unter UNESCO - Schutz stehende Naturwunder der Plitwitzer Seen liegt mitten in der sogenannten Kraijna (dt.: Grenzland), jenem Gebiet, welches die dort lebende Mehrheit der Serben kurzerhand zur "Serbischen Republik Kraijna" deklarierten, und welches durch die im August 1995 gestartete kroatische Offensive endgültig wieder an Kroatien angeschlossen wurde. Es waren dies die letzten Kampfhandlungen auf dem Boden des jungen Staates, der seitdem als befriedet gilt und für den Touristen nun wieder fast uneingeschränkt bereisbar geworden ist.

An der Bootsanlegestelle werde ich in wenigen Minuten mittels Elektroboot zum gegenüberliegenden Ufer gebracht, von wo aus ich meine erste Wanderung starte. Ich beginne mit den sogenannten oberen Seen, die in etwa zweieinhalb Stunden in aller Ruhe erwanderbar sind. Ivo, ein kroatischer Arbeitskollege, hatte mir gesagt, hier an den Seen sei zu allen Jahreszeiten immer etwas los, aber ich habe Glück heute morgen, denn der Besucherstrom hat noch nicht eingesetzt, ich begegne unterwegs nur wenigen anderen Touristen. Der Himmel zeigt sich heute bedeckt, schafft somit ein angenehmes Wanderklima, und obwohl es den ganzen Tag über dicht bewölkt bleibt, soll es dennoch trocken bleiben.

Nun, was macht dieses Seengebiet so attraktiv? Wir finden in ganz Kroatien nur eine geologische Gebirgsart vor,
nämlich den sogenannten Karst, den man kaum anderswo so intensiv studieren kann, wie hier. Ich werde auch später immer wieder auf die verschiedenen Eigenarten des Karstgebirges zu sprechen kommen, denn auch der Velebit, die Krka - Wasserfälle und das Ucka - Gebirge, meine weiteren Ziele in Kroatien, weisen die typischen Phänomene dieser Landschaft auf. Im Falle der Plitwitzer Seen und auch der Krka - Wasserfälle nehmen Pflanzenteile das im durchfließenden Wasser enthaltene Kalziumkarbonat auf, die Blätter, Äste und Zweige verkrusten, legen sich übereinander und bilden sogenannte Travertin- oder Tuffbarrieren, über die sich dann das Wasser in beeindruckenden Kaskaden ergießt, weiterhin Kalziumkarbonat ablagert und die Staubarrieren somit im Laufe der Zeit immer weiter anwachsen läßt. Durch das Nationalparksterritotium zieht sich eine Kette von 16 großen und kleineren Seen, welche allesamt durch Kaskaden untereinander verbunden sind. Die Wege sind als Holzstege angelegt, die neben, unter und über dem Seen - und Kadkadenlabyrint vorbei - bzw. durchführen und es dem Besucher somit ermöglichen, das Naturspektakel aus allen möglichen Perspektiven zu bewundern. Hier jeden Wasserfall zu beschreiben, würde zu weit führen, es rauscht, sprudelt und plätschert jedenfalls von allen Seiten und man kommt nicht mehr aus dem Staunen heraus. Hohe, senkrecht herunterstürzende Fälle wechseln sich ab mit über mäßiges Gefälle rinnende Wasserstreifen, die zwischen mit üppiger Vegetation überwucherten Inselchen durchrauschen. Das klare Wasser der Seen schimmert dazu in schillerndem Grün bis smaragdenem Türkis. Unter Wasser kann man gut die langsam verkrustenden Pflanzenteile betrachten, die irgendwann im Laufe von Jahrtausenden neue Barrieren bilden und somit weitere Kaskaden schaffen werden. Auch eine Schlange entdecke ich in einer Erdnische, gut einen bis anderthalb Meter lang, schwarz, mit einem schmutzig - weißen bis beigen Streifen auf dem Rücken, ein prachtvolles Exemplar!

In Schlaufenform vollführe ich meinen Spaziergang, die mich, neben anderen, kleineren, Seen an den folgenden Gewässern vorbeiführt: Gradinsko Jezero (554 m, 10 m Tiefe), Galovac Jezero (583 m, 24 m tief), Malo Jezero (604 m, 15 m Tiefe) und schließlich zum am höchsten gelegenen, zweitgrößten des gesamten Seengebietes, dem Prosansko Jezero (637 m, 37 m tief). Dessen Ufer sind zwar nicht mehr, wie die der anderen Seen, von Wasserfällen und Kaskaden gesäumt, dafür vermittelt er mir den skurrilen Eindruck eines skandinavischen Fjällsees. Von hier aus muß ich ein Stück des gegangenen Weges zurückkehren, um meine Schlaufe, die mich direkt unter - und oberhalb der die Seen verbindenden Kaskaden vorbeiführt, zu vervollständigen. Das Seengebiet ist übrigens von ausgedehnten, dichten Wäldern umgeben, in denen neben den herkömmlichen mitteleuropäischen Waldtieren auch Wölfe und Braunbären ihr Zuhause haben. Beträchtliche Waldflächen befinden sich innerhalb des Nationalparks, dessen Flächenbegrenzung weit über das Gebiet der Seen hinausreicht, und es bestehen dort auch noch weitere Wandermöglichkeiten.

Ich selbst möchte mich aber, da ich auch noch weitere Ziele in Kroatien anstrebe, nur auf die Seen selbst beschränken, welche von einem Durchschnittswanderer, vorausgesetzt, man legt nicht an jedem Wasserfall eine Vesper- oder Meditationspause ein, an einem Tag gut zu bewältigen sind. Es besteht auch die Möglichkeit, das Elektroboot in Anspruch zu nehmen, um den in der Parkmitte gelegenen Jezero Kozjak, dem größten der Plitwitzer Seen, zu traversieren und somit rasch über den Wasserweg zum Ausgangspunkt zur Erkundung der unteren Seen zu gelangen. Ich aber bin zum Wandern gekommen und als ich die Bootsanlegestelle wieder erreiche, von welcher aus ich die obere Seenrunde angegangen war, bleibe ich am westlichen Ufer, um dem Trampelpfad zu folgen, der um die verschiedenen Nebenarme des Kozjak - Sees herumführt. Diese Wanderung wird nur von wenigen Parkbesuchern unternommen. Man findet zwar unterwegs keine Kaskaden, dafür genießt man eine wilde Wald - und Seenlandschaft in würziger Luft und mit jeder Menge Ruhe. Bei einer Picknickwiese, wo sich auch die Anlegestelle für die Elektroboote befindet, ist es jedoch mit der Einsamkeit vorbei. Zwischenzeitlich ist es nämlich Mittag geworden, die ersten Busse sind im Park eingetroffen und die hin und her pendelnden Boote entladen jetzt Massen von Besuchern. Zudem ist die untere Seenrunde die bekanntere und der Großteil der Touristen beschränkt seine Visite nur auf diesen Teil des Nationalparks.

Hat mich die obere Seenrunde bereits sehr in ihren Bann gezogen, so soll mir der Weg durch den "unteren" Parkteil noch eine Steigerung bieten. Die sich dort befindlichen Seen zwängen sich nämlich in eine steilwandige Klamm und sie sind untereinander gleichfalls durch ein eindrucksvolles Kaskaden - und Wasserfallensemble verbunden. Gegen Ende hin werden die Schluchtwände immer höher, rechts oben öffnet sich eine Grotte, zu der man aufsteigen kann, um von oben herab einen fantastischen Überblick zu ergattern, wobei die Hauptattraktion sich bis zum Schluß verdeckt hält. Gelangt man nämlich ans Ende der Schlucht, sollte man nicht gleich die Serpentinen hochsteigen, die zum Eingang I, bzw. zum Aussichtsweg überhalb des Canyons führen würde. Man quert über den Holzsteg oberhalb einer äußerst beeindruckenden Wasserfallgruppe, zu der bedauerlicherweise kein weiterer Weg mehr hinabführt, weshalb sie nur von oben herab zu bewundern ist. Gelangt man schließlich ans westliche Ufer und folgt dem Weg hinter eine Biegung, stockt einem endgültig der Atem: stattliche 76 Meter hoch ist er, der Slap Plitvice, jener Wasserfall, der einst als Kulisse für eine Szene in der deutsch/jugoslawischen Koproduktion "Der Schatz im Silbersee" diente. Ich werde übrigens im Verlauf meine Reise noch etliche Male auf "Winnetou - Landschaften" stoßen, denn die berühmten Karl - May - Verfilmungen der späten 60er Jahre wurden schließlich alle hier in Kroatien gedreht.

Trotz des jetzt stark zugenommenen Besucherstroms habe ich rasch den Dreh raus, wie ich die schönsten Flecken, einschließlich dem großen Wasserfall, doch noch in der ihnen gebührenden Ruhe genießen kann: Der Großteil der Touristen kommt in Reisebussen, und die Gruppen werden mehr oder weniger schnell durch die Schlucht geschleust, um anschließend in die oben am Eingang wartenden Busse wieder einzusteigen. Von der Landung des einen Elektroboots bis zum nächsten vergehen dann immer ein paar Minuten, so daß ich zwischen dem Durchgang von zwei Gruppen bis zu 10 oder mehr Minuten lang oft völlig alleine bin. Besonders unten am Slap Plitvice genieße ich eingehend das prächtige Schauspiel, bevor auch ich mich wieder zur anderen Uferseite zurückbegebe und die Serpentinen hinaufsteige, um schließlich noch auf dem Weg, der oberhalb der Schlucht verläuft, von einem Aussichtspunkt zum anderen zu wandeln. Beim Slap Plitvice handelt es sich allerdings nicht um einen Tavertinwasserfall, die Wasserschleier stürzen hier nämlich über eine imposante, senkrechte Kalkwand ins gischtende Becken, wo das durch die Fallwucht zerstäubende Wasser einem das Hemd selbst noch auf zig Metern Abstand feucht werden läßt. Am Aussichtspunkt gegenüber dem Wasserfall, hoch über der grandiosen Schlucht der unteren Plitwitzer Seenkette fällt es mir schwer, den Blick abzuwenden, um mich endgültig zum Ausgang zu begeben, wo ich mich an die Haltestelle bei der Durchgangsstraße stelle, um einen Bus in Richtung Sibenik zu erwischen.

Es dauert nicht allzu lange, bis einer anhält. Er hat Leerfahrt, und eigentlich ist es dann verboten, Passagiere aufzunehmen. Fast jeder Busfahrer in Kroatien verdient sich aber auf diese Weise ab und an ein kleines Zugeld, und mir soll´s nur recht sein. Nein, Sibenik sei nicht sein Ziel, er fahre nach Makaskar, über Split, so der Fahrer. Eigentlich wollte ich ja gar nicht so weit in den Süden runter, aber Split, das hört sich für mich gar nicht so schlecht an. Mein Arbeitskollege Ivo hat ein Haus in Trogir, in einem der malerischsten Städtchen Kroatiens. Ich hatte heute morgen bereits telefonisch mit ihm kommuniziert, und er hatte mir angeboten, daß ich, falls ich in die Gegend kommen sollte, bei ihm nächtigen könne. Nun, Split ist nicht weit von Trogir entfernt, und Ivo hatte gesagt, daß er mich von Split aus auch mit seinem Auto abholen könnte.

Die Fahrt geht jetzt von Nordost nach Südwest, längs durch die gesamte Krajina. Die Landschaft wechselt von üppigen, grünen Wäldern über Schafsweiden bis hin zu karger, steiniger Maccia, die Shilouetten zackiger Bergketten säumen die Landschaft. Einst wurde hier erbittert gekämpft, furchtbare Szenen müssen sich damals abgespielt haben, wie uns durchsiebte Hauswände, eingestürzte Hausdächer, oder ausgebrannte Bus- und Autowracks ständig vor Augen halten. In vielen Dörfern hat der Wiederaufbau diese Spuren zu einem guten Teil schon eliminiert, neue Häuser sind entstanden, oder zerschossene Gebäude wieder renoviert worden. Man sieht allerdings auch das eine oder andere völlig zerstörte Dorf, wo man, wenn überhaupt, vielleicht nur zwei oder drei alte Leute auf der Straße sieht. Es sind jene, die ihr Heimatdorf trotz der schlimmen Situation nicht mehr verlassen wollen, alle anderen sind längst gegangen, oder Schlimmeres. In solchen Dörfern sollte man sich nicht unbedacht als Fußgänger herumtreiben. Grundsätzlich empfiehlt es sich dringend, sich bei den Bewohnern der umliegenden Orte vorher zu informieren, sollte man tatsächlich das Bedürfnis verspüren, in diesen durchaus attraktiven Gegenden einen Spaziergang, eine Radtour oder eine Wanderung unternehmen zu wollen. Denn hier, im ehemaligen Kriegsgebiet, schlummert immer noch eine unsichtbare, heimtückische Gefahr: Landminen. Die Bewohner selbst können bestimmt Auskunft darüber erteilen, auf welchen Wegen man sich bedenkenlos bewegen kann und wo man besser nicht hingeht. Die Räumung der ehemaligen Kampfgebiete wird und wurde zwar mit der größtmöglichen Eile und Sorgfalt vorangetrieben, es gelten jedoch noch lange nicht alle Bereiche als sicher.

Wir erreichen Knin, die ehemalige Hauptstadt der "Serbischen Republik Krajina". Die Stadt liegt genial in einem Talkessel, von einer Burg überragt. Am Ortsrand, beim Verlassen der Stadt, erspähe ich einen schönen Wasserfall. Auffällig ist, wie auch in anderen Gebieten des kroatischen Binnenlandes, ja sogar in weiten Bereichen der dalmatischen Küste, die vergleichsweise dünne Besiedlung, wenn man da an Mitteleuropa denkt. Bevor die Straße dann nach Split hinunterführt, offeriert sie uns einen tollen Ausblick auf die zweitgrößte Stadt Kroatiens. Ein guter Teil der Metropole erstreckt sich auf einer großen Halbinsel, landseitig von Bergen umrahmt, zur Seeseite hin durch die vorgelagerten Inseln geschützt. Ein Meer von Hochhäusern und unzählige Verladekräne rings um den riesigen Handels- und Kriegshafen erwecken zunächst nicht gerade die Erwartungen auf ein romantisches Stadtbild.

Bei meiner Ankunft, es ist bereits 9 Uhr abends, versuche ich, Ivo telefonisch zu erreichen, was leider nicht klappt. Eine Frau spricht mich an, sie hat ein Privatzimmer zu vermieten. Da sie keinerlei Fremdsprachen spricht, hilft ein junger Mann von der Straße als Übersetzer. 150 Kuna mit Frühstück ist für kroatische Verhältnisse vielleicht nicht unbedingt billig, ich willige aber ein, bin froh, erst mal ein Bett zur Verfügung zu haben und ein Quartier, wo ich mein lästiges Gepäck loswerden kann. Viel Zeit bleibt nicht für Split, ein kleiner Imbiß in der Altstadt und ein Spaziergang durch die nächtlichen Gassen hinterlassen nur einen flüchtigen Eindruck. Eines kann ich jedoch gleich verraten: die Stadt lohnt einen längeren Besuch! Die ausgedehnte Altstadt im venezianischen Baustil ist ein Traum für Freunde verwinkelter, enger Gässchen, steiler Steintreppen und lebendiger Straßencafes. Gleichwohl ist sie ein El Dorado für die Anhänger alter Baukünste, deren steinerne Zeugen bis in die Römerzeit zurückreichen. Mediterranes Flair versprüht die palmengesäumte Uferpromenade, wo in der Hauptsaison die Nachtschwärmer bestimmt bis in die frühen Morgenstunden flanieren. Selbst ausgedehnte Wälder finden sich auf der die Altstadt tragenden Halbinsel, wo schöne Spaziergänge möglich sein sollen. Als ich Split am folgenden Morgen verlasse, tue ich das im Bewußtsein, daß, sollte ich wieder einmal in diese Gegend zurückkehren, eine genauere Inspektion dieser bezaubernden Stadt dann unumgänglich wird.

Die Fahrt geht weiter, entlang der Küstenstraße, bis Sibenik. Auch heute steht ein wasserreiches Ziel auf dem Programm: die Krka - Fälle, die von Sibenik aus in etwa 15 Fahrminuten erreichbar sind. Auf den Plattformen des Busbahnhofs ist der Teufel los. Schulkinder aller Altersklassen drängen sich, und als ich mein Busticket kaufen will, erfahre ich von der Dame am Schalter, daß heute Sonderbusse zu den Wasserfällen fahren, denn heute ist der 1. Mai, Feiertag auch hier in Kroatien. Das kann ja heiter werden! Und so zwänge ich mich mitsamt dem schweren Trekkingrucksack in einen der wartenden Busse, Stehplatz zwischen johlenden und lachenden Kindern und einer verzweifelten Minderheit von Lehrern. Den günstigsten Tag habe ich mir also nicht ausgesucht, um mir das nach den Plitvitzer Seen sicherlich bekannteste und beeindruckendste Wasserschauspiel Kroatiens, vielleicht sogar des gesamten Balkan, anzusehen.

Am Haupteingang bei Losovac warten erneut Busse, mit denen man sich bis hinunter vor den Hauptwasserfall Skradinski Buk kutschieren lassen kann. Ich verzichte auf den am 1. Mai kostenlosen Service und ziehe den Wanderweg vor, von dem aus man bereits beim Hinuntersteigen den einen oder anderen Blick auf den träge dahindümpelnden Krka - Fluß, der hier schon fast einem See gleicht, erhaschen kann. Üppig - grüne Inseln und Inselchen garnieren dieses bizarre Riesenbiotop. Das Phänomen am Unterlauf der Krka ist das Selbe wie in Plitvice: mit Kalziumkarbonat überkrustete Pflanzen bilden Travertinbarrieren. Die Hauptattraktion sind dann 17 Kaskadenstufen, wobei die unterste Kaskade, der Wasserfall Skradinski Buk, mit 46 Metern gleichzeitig auch am höchsten ist. Auch in seiner Seitenausdehnung manifestiert der Skradinski Buk seine Stellung als Hauptwasserfall im Krka - Park.

Es besteht ferner die Möglichkeit, an einer Bootsfahrt flußaufwärts teilzunehmen, wo man in einem 4-stündigen Ausflug durch eine enge Schlucht bis hinauf zum Wasserfall Roski slap gefahren wird. Diese Exkursion ist nicht ganz billig, außerdem wäre mir mein großer Rucksack dabei lästig, so daß sich meine Besichtigung auf das Kaskadenschauspiel des unteren Flußlaufes beschränkt. Es gibt hier zwar nicht so zahlreiche einzelne Wasserfälle, wie in Plitvice, und das abzuwandernde Gebiet ist auch nicht so weitläufig, wie dort, dafür ist die zu Tal fließende Wassermenge viel größer. Auch hier spaziert man auf schmalen Holzstegen über einzigartige Travertinschwellen hinweg, gleichfalls begleitet von einem Sprudeln und Tosen an allen Ecken und Enden, dazu noch der einem tropischen Dschungel ähnelnde, herrliche Wald, Heimat zahlreicher Wasservögel, der unter anderem auch einen großen Bestand an duftenden Feigenbäumen aufweist. Allgemein unterscheidet sich die hier eindeutig mediterrane Vegetation schon wesentlich von den durch gemäßigtes Kontinentalklima geprägten Wäldereien an den Plitwitzer Seen, wo zur Winterzeit die Seen und Wasserfälle oft zu Eis erstarren, während das Grün des Waldes vom Schnee überschüttet wird.

Wie bereits erwähnt, bin ich heute wirklich nicht der Einzige, der im Park unterwegs ist. Die Holzstege sind aber so angelegt, daß man stets prächtige Blicke auf die vielen Naturwunder hat, und auch Fotos schießen kann, ohne gleich ein Dutzend Statisten mit auf dem Bild zu haben. Der Krka - Fluß ähnelt hier eher einem See und die Stege bringen die Besucher auch von einer Insel zur anderen, wobei man ständig von Travertinphänomenen und üppiger Sumpf- und Waldvegetation umgeben ist. Zahlreiche Wasservögel sind hier heimisch und trotz der heute so großen Besucherzahl dringt immer wieder das Quaken von Enten oder das Krächzen anderer Wasservögel aus dem umliegenden Busch -und Schilfwerk. Zum Schluß führt der Weg über Serpentinen neben 17 hinabstürzenden Kaskaden hinunter auf die in eine Festwiese verwandelte große Picknickwiese, hinter der der Hauptwasserfall Skradinski Buk über eine Länge von 800 Metern, in verschiedene Fallsegmente unterteilt, ins seeähnliche Wasserbecken stürzt. An dieser Stelle soll das Baden angeblich gestattet sein, die derzeitigen Wassertemparaturen verlocken heute jedoch niemanden dazu. Dafür muß ich mich jetzt vorsehen, nicht von einer umherfliegenden Frisbeescheibe geköpft zu werden, oder einen Fußball auf die Nase geknallt zu kriegen. Wenn man ein paar Bacharme überspringt, gelangt man auf kleine Inselchen, von denen aus man das Schauspiel des Skradinski Buk in aller Ruhe genießen kann. Ich wundere mich ein wenig, daß es bei dem Betrieb tatsächlich noch möglich ist, eine Insel ganz für sich zu finden. Es steht für die Meisten hier doch mehr der Tag der Familie mit Picknick, Spielen, Sonnenbad usw. im Vordergrund, anstatt dem Naturspektakel zu huldigen.

Beim Verlassen des Skradinski Buk führt der Weg zunächst über eine Brücke über den Krka - Fluß, wo es dann auf breitem Weg in Serpentinen wieder aufwärts geht bis zum Ausgangspunkt der Wanderung. Oberhalb der Kaskaden besteht die Möglichkeit, ein altes Mühlenmuseum zu besichtigen. Auch den Rückweg zum Parkeingang lege ich abermals zu Fuß zurück und freue mich, oben gleich einen Bus zu erwischen, der mich zurück nach Sibenik bringt, so denke ich. Der Bus fährt aber wieder hinunter zu den Wasserfällen, ich bleibe also, unten angekommen, gleich sitzen, um wieder mit hinaufzufahren. So habe ich den kostenlosen Busservice, obwohl unfreiwillig, doch noch genutzt. Das Warten auf den richtigen Bus nach Sibenik (jede Stunde) verkürze ich mir dann mit einem kleinen Cevapcici - Imbiß an einem der sich am Eingang befindlichen Fast - Food - Ständen.

Der Busbahnhof (kroat. Autokolodvor) von Sibenik befindet sich direkt hinter der Hafenpromenade, wo ich´s mir auf einer Bank gemütlich mache, bis mein Bus nach Zadar abfährt. Auf dem dortigen Autokolodvor dann eine kleine Kaffeepause, bis die Linie Richtung Rijeka bedient wird, die auf der Küstenstraße weiter gen Norden hinaufführt, wo sich, etwa anderthalb Fahrstunden entfernt von Zadar, mein nächstes Ziel befindet, der Fischerort Starigrad Paklenica. Busfahren in Kroatien, das ist kein Problem! Zu günstigen Tarifen kommt man in bequemen Langstreckenbussen ohne lange Wartezeiten immer zum Ziel, und auch kleine Ortschaften werden fast immer durch Nebenlinien bedient. Will man auf einer der Hauptstrecken in einer kleineren Ortschaft aussteigen, sagt man einfach dem Busfahrer Bescheid.

In Starigrad Paklenica versammelt sich eine eher ungewöhnliche Spezies von Kroatien - Urlaubern: die der Kletterer und Bergwanderer, denn von Starigrad aus läßt sich der Eingang des Nationalparks Paklenica erreichen, der die beiden prächtigsten Schluchten und mit die eindrucksvollsten Karstlandschaften Kroatiens in sich birgt. Dieses Gebiet zählt geographisch zum südlichen Teil des 145 Kilometer langen Velebit - Gebirgszuges. Direkt hinter der Küstenlinie emporstrebend, wird er im Westen durch den Meeresarm Velebitski - Kanal begrenzt, während er ostwärts zur Hochebene von Licka und zum Gacka - Fluß abfällt. Die einmalige Berglandschaft des Velebit hat einige Besonderheiten aufzuweisen, auf die ich im Laufe meiner Ausführungen noch eingehen werde.

Zu meiner Überraschung werde ich am ersten Campingplatz, auf den ich treffe, wegen Überfüllung abgewiesen. Auf der riesigen Campingwiese des Hotel Alan, einem sterilen Hochhaus im sozialistischen Stil, finde ich schließlich mehr als genug Platz. Als ich mich zum Dinieren auf der Terrasse des Hotels einfinde, soll sich herausstellen, warum der andere Campingplatz, obwohl die Saison eigentlich noch nicht begonnen hat, überfüllt ist: Sitze ich anfangs noch allein und verloren auf der Hotelterrasse, schneit nach einer halben Stunde eine ganze Horde junger Leute herein, eindeutig vom Typ Kletterer. Die Gruppe ist international, und ich erfahre, daß morgen ein großer Wettbewerb in der Velika Paklenica (Große Paklenica - Schlucht) stattfinden soll, Sponsor ist der Aufputschdealer Red Bull.

Des Nachts soll sich noch herausstellen, daß ich zu nahe am Wasser gebaut habe, denn der DJ der Red - Bull - Beachparty trifft zwar meinen Musikgeschmack, aber wenn man frühmorgens zu einer Tour aufbrechen möchte, wäre es einem recht, des Nachts schlafen zu dürfen. Schließlich reicht es mir und ich ziehe mein Zelt mitsamt Inhalt quer über den gesamten Campingplatz in eine ruhigere Ecke. Etwa 20 Minuten nach dem Umzug verstummt die Musik. Auch die Freeclimber müssen schließlich morgen fit sein!

Bevor ich aufbreche, nehme ich noch das reichhaltige Frühstücksbuffet des Hotel Alan in Anspruch, wer weiß, wann es wieder mal was Gescheites gibt! Zunächst muß ich ein gutes Stück der Straße folgen, ins benachbarte Dorf Seline, wo ein Schotterweg zu einem Parkplatz führt. Hier befindet sich der Eingang der Mala Paklenica (kleine Paklenica - Schlucht). Ich trage die gesamte Ausrüstung bei mir plus Lebensmittel für mehrere Tage, da meine Exkursion im Nationalpark vorraussichtlich minimum 3 Tage in Anspruch nehmen wird. Die weiter südlich gelegene Velika Paklenica mag zwar die bekanntere der beiden Schluchten sein, auch sind dort die Felswände höher und die Wasser fließen reichlicher, dafür ist die Mala Paklenica eindeutig die wildere und nur eingefleischten Bergwanderern zu empfehlen, die auch bereit sind, die eine oder andere Geländeschwelle in leichter Kletterei zu überwinden.

Bequem ist der Weg durch die Mala Paklenica jedenfalls nicht, besonders dann nicht, wenn einen zusätzlich noch über 20 Kilo Rucksackgewicht plagen. Sowohl Weg als auch Landschaft treffen allerdings voll meinen Geschmack. Zwischen 20 bis 30 Meter hohen, schroff aufragenden Felswänden geht es über Stock und Stein aufwärts, bald im steinigen Flußbett, bald über dessen schrofige Flanken. Immer wieder sind riesenhafte Felsblöcke zu überklettern, umgestürzte Bäume verwehren den Weg, dorniges Gestrüpp zerrt an der Kleidung und die Äste des durchstreiften Dickichts peitschen mir ins Gesicht. All das nehme ich mit Wohlwollen in Kauf, was mich eher grämt, ist die Tatsache, daß das Bachbett furztrocken ist, obwohl die Mala Paklenica Anfang Mai eigentlich noch Wasser führen sollte. Das Frühjahr war in Kroatien heuer, gleichfalls wie in Deutschland, ungewöhnlich trocken, so daß die Wasserversorgung bei Wanderungen in den karstigen, zu Wasserversickerungen neigenden Bergregionen des Landes jetzt schnell zum Hauptproblem werden kann.

3 Liter führe ich bei mir, aus Gewichtsgründen habe ich die dritte Flasche unbefüllt gelassen, in der Annahme, in der Schlucht Wasser zu finden. Ein Franzose aus Lothringen und seine asiatische Freundin, die sich die beliebte Tagestour Mala Paklenica - Alm Jurline - Velika Paklenica zur Aufgabe gemacht haben, drehen aufgrund ihrer nur noch dürftigen Wasservorräte im oberen Teil der Mala Paklenica um, um über den Aufstiegsweg wieder zurückzukehren. Die Temperatur beträgt gegen Mittag um die 25 Grad, eigentlich zu warm zum Wandern, und auch mir rinnt das Wasser schneller durch die Kehle, und wiederum aus den Poren, als mir lieb ist. Trotzdem bleibe ich auf meiner Route und folge der Schlucht, die sich im oberen Teil gabelt, in den linksseitigen Arm weiterhin aufwärts, wo schließlich ein Serpentinenpfad aus ihr herausführt. Zuvor überhole ich noch eine Gruppe kroatischer Wanderer, fünf Erwachsene und drei Kinder, von denen das kleinste schätzungsweise 4 Jahre alt ist. Ich frage mich, ob die Kinder, obwohl sie immer wieder von den Erwachsenen ein Stück weit getragen werden, auf einer solchen Tour nicht doch überfordert sind. Als ich schon ziemlich weit oben bin, höre ich unten jemanden rufen: "Voda!". Die Gruppe ist dem Serpentinenweg nicht gefolgt, sondern im Flußbett weiterhin aufgestiegen und dort offensichtlich auf Wasser gestoßen. Ich will jetzt aber nicht mehr hinuntersteigen, glaube fest daran, weiter oben ebenfalls Wasser zu finden, ein halber Liter ungefähr ist mir ja noch geblieben. Sollte ich in nächster Zeit jedoch nicht fündig werden, dann wäre auch ich gezwungen, umzukehren.

Auch in der Mala Paklenica waren die Auswirkungen des 1. Mai zu spüren. Der Busfahrer, der mich nach Split brachte, hatte mich bereits über den Sachverhalt aufgeklärt: da der Feiertag auf einen Donnerstag fiel, haben viele Kroaten den vergangenen Samstag gearbeitet, um somit ein verlängertes Wochenende von Donnerstag bis einschließlich Sonntag genießen zu können. So war die Mala Paklenica zwar nicht überlaufen, dennoch habe ich immer wieder andere Wandergruppen getroffen, von denen die meisten wohl über Jurline durch die Velika Paklenica, oder aber schluchtaufwärts und anschließend den selben Weg zurück zum Parkplatz eingeschlagen haben. Mein Weg soll mich aber noch weiter nach oben führen, mein Ziel ist der Velebit - Hauptkamm mit seinem höchsten Gipfel, dem Vaganski Vrh. Als ich schließlich die letzten Serpentinen erreiche, die mich aus der Schlucht empor führen, bietet sich mir ein umwerfendes Panorama: die kahlen, subalpinen Gipfel des Velebit Hauptkammes überragen eine deftig - grüne, von strahlend - weißen Felsen durchsetzte, wilde Schluchtenlandschaft von einer einzigartigen Schönheit. Wieder einmal kommen mir die Karl - May - Filme in den Sinn, die ich als Bub immer gern gesehen habe, und für die solche und ähnliche Landschaften als Kulisse gedient hatten. Ich ignoriere die Abzweigung nach Jurline und gehe ich weiterhin aufwärts, in östliche Richtung. Hier wird es sehr ruhig. Mein Etappenziel soll die kleine Selbstversorgerhütte Skloniste Ivine Vodice sein. Unterwegs treffe ich auf eine Gruppe älterer Herren, die ebenfalls die Hütte erreichen wollen. Von ihnen erfahre ich, daß es an der Hütte Wasser gibt. Ich werde wieder zuversichtlich und jage mir meine verbliebenen Reserven die Kehle hinunter.

Bis zum Erreichen der Hütte sind noch etliche Höhenmeter durch den Wald zurückzulegen, und als ich dort eintreffe, denke ich zunächst nur noch ans Wasser. Hier lerne ich dann auch gleich die typische Art und Weise kennen, wie man im dinarischen Karstgebirge selbiges zutage fördert, nämlich aus Brunnenschächten. Ein guter Brunnen ist immer zugedeckt, damit nicht so viel Unrat hineinfallen kann. Entkeimungstabletten habe ich keine bei mir, die anwesenden Herrschaften winken jedoch ab. Kein Problem sagen sie, und so tue ich es ihnen gleich und nehme sofort ein paar tüchtige Schlücke von dem mit Hilfe eines an einem Seil befestigten Eimers emporgezogenen Brunnenwassers. Es ist herrlich kühl und erfrischend, und hat auch keinerlei unangenehmen Beigeschmack, die eine oder andere tote Mücke oder sonstige Partikel muß man allerdings in Kauf nehmen.

Man sieht es ja an der reichlich vorhandenen Vegetation: das Karstgebirge hat genug Wasser, nur hat dieses hier leider Gottes die ungünstige Eigenschaft, unter der Erde zu fließen, weshalb es für den Wanderer fast ausschließlich nur durch Brunnenschächte zugänglich ist. Diese können allerdings in stundenlangen Fußmärschen voneinander entfernt liegen, oder man trifft auf verschmutzte, offene Wasserlöcher. Wenn Not am Mann sein sollte, würde man auch aus diesen trinken, und wenn man keine Entkeimungstabletten dabei hat, kann man es immer noch abkochen. Im äußersten Notfall würde man es sicher auch mit dem Risiko trinken, davon krank zu werden. Tatsache ist jedenfalls, daß ich mich darauf einzurichten habe, auf mehrtägigen Exkursionen große Wasservorräte mit mir herumschleppen zu müssen, was das Rucksackgewicht gleich auf ein paar zusätzliche Kilo anhebt.

Auch an der Ivine - Vodice - Hütte haben sich die Maiwanderer in größerer Zahl eingefunden. Das kleine Hüttlein bietet Schlafplätze für maximal 10 Personen, es sind aber doch ein paar mehr geworden, von denen sich ein halbes Dutzend noch unter´s Vordach gepfercht hat. Der Aufenthalt bei der Vodice - Hütte ist zwar kostenlos, man erhält ihn dennoch nicht zum Nulltarif: sofern man nicht eine Zwischenübernachtung im oberhalb der Velika Paklenica gelegenen Planinarski - Dom (dt.:Berghaus) eingelegt hat, hat man von Seehöhe bis hierher 1250 Höhenmeter mit kompletter Biwakausrüstung auf dem Buckel hinter sich zu bringen, wobei die Variante durch die Mala Paklenica wohl die anstrengendste sein dürfte.

Ich schlage vor, daß in meinem Zelt außer mir selbst noch zwei weitere Personen nächtigen können, und so lerne ich eine 7-köpfige Gruppe des kroatischen Bergvereins, Sektion Samobor, kennen. Luka, einer der älteren Herren der Gruppe, gesellt sich noch zu mir ins Zelt, und dafür werde ich zum gemeinsamen Abendessen eingeladen. Die Leute zeigen ein großes Interesse an mir und sind, wie eigentlich überall in Kroatien, sehr gastfreundlich. Die Unterkunft steht auf einer Waldlichtung, von der aus man eine wunderschöne Aussicht über die zurückliegenden Berge und Schluchten hinweg bis zum Fjorden - und Inselgeflecht der vorgelagerten adriatischen Küste hat. Auch Holztische und - bänke sind vorhanden, und eine weitere Gruppe von Herren gesetzteren Alters hat bereits ein Feuer auf der Lichtung entfacht. Ich kenne in Deutschland nicht viele 60 - jährige, die ihre Bergnächte im Schlafsack und am Lagerfeuer verbringen. Warme Wandertage bescheren in der Regel lauschige Nächte, weshalb der Faktor Kälte heute Nacht entfällt, und während die Sonne bei knisterndem Feuer in der Adria versinkt, genießt ein Jeder der hier oben eng miteinander verbundenen Gemeinschaft von Bergfreunden das Ende eines harten, aber erlebnisreichen Wandertages.

Außer meinem Hauptziel, dem Vaganski Vrh, beabsichtige ich, wenn möglich, den einen oder anderen weiteren Gipfel im Velebit - Hauptkamm "mitzunehmen". Daß die Wahl dabei auf den Sveto Brdo (1751 m) fällt, habe ich meinen Freunden aus Samobor zu verdanken. Sie wollen morgen gleichfalls den Sveto Brdo besteigen, und Franjo, eingefleischter Bergfreund Präsident der Sektion Samobor, erteilt mir den Ratschlag, mit meinem Gepäck von Vodice aus zunächst dem nordwärts aufsteigenden Pfad zu folgen, wo ich an einer Wegekreuzung am Besten meinen schweren Rucksack zurücklasse, da ich bei der Rückkehr vom Gipfel sowieso wieder hier vorbei komme, wenn ich vorhabe, noch weiter auf dem Kammweg zum Vaganski Vrh vorzumarschieren.

Ist die Waldgrenze überschritten, gelangt man über subalpine Bergwiesen, vorbei an trichterförmigen Dolinen, und zum Schluß steil über zwei Altschneefelder hinauf zum aussichtsreichen Gipfel. Ein exzellentes Lehrbeispiel für eine Klimagrenze wird uns hier oben vor Augen geführt. Während die Landschaft im Osten, also im Binnenland, von tiefgrünen Wiesen und Wäldern bestimmt wird, bieten die zur Küste hin gerichteten Bergkämme einen sehr trockenen, steinigen Anblick, die der Küste vorgelagerte Insel Pag gleicht gar einer Mondlandschaft, oder als hätte man ein Puzzlestück aus der Sahara herausgeschnitten, und hierher, in die Adria, verfrachtet. Es ist dann auch so, daß das Velebit - Gebirge eine scharfe Klimascheide bildet. Es hält die Wolken der im Binnenland niedergehenden Regen und die berüchtigten, vom Landesinneren her wehenden Bora - Winde, zurück und läßt so die Küste quasi auf dem Trockenen sitzen, ein Effekt, von dem unzählige sonnenhungrige Badegäste an der kroatischen Adria Jahr für Jahr profitieren.

Der Sveto Brdo ist übrigens der markanteste Berg im südlichen Velebit - Hauptkamm. Letzteren nach Süden hin abschließend, erhebt er sich als hohe, auffällige Kuppe am äußersten Ende der Bergkette. Auf dem Gipfel steht ein großes Metallkreuz, das dort von deutschen Pionieren im Oktober 1996 errichtet wurde. Mir fällt eine Autobatterie auf , die ebenfalls im Gipfelbereich herumfährt. Entlang des Wanderpfades waren mir bereits etliche Meter von durch die Landschaft gezogenen Fernmeldekabeln aufgefallen, auf die man hier auf dem Hauptkamm immer wieder stößt: hier holt einen die Erinnerung an den Krieg wieder ein, der südliche Velebit - Hauptkamm war Kampflinie. Eine weitere, weit unangenehmere Folge der einstigen Kampfhandlungen ist die Tatsache, daß das Gebiet östlich des Hauptkammes bisher noch nicht vollständig von Landminen geräumt ist, so daß das Betreten dieser Zone ein unverantwortbares Risiko wäre. Bei in jene unheilvolle Richtung abzweigenden Pfaden weisen Warnschilder gut sichtbar darauf hin, und wer sich an den vorgegebenen, gut markierten und deutlich ausgetretenen Kammweg hält, dem droht auch keine Gefahr.

Meine Freunde aus Samobor hatten es mir bereits angekündigt: der Weiterweg in Richtung Vaganski Vrh birgt noch etliche ausgedehnte Firnfelder, bei deren Querungen man aufpassen muß, sich nicht beim Einbrechen durch eine Schneebrücke zu verletzen, da man dabei ziemlich tief zwischen scharfkantige Felsen rutschen kann. Zwei junge Männer und eine Frau waren mir kurz nach der Drei - Wege - Kreuzung Vaganski Vrh - Vine Vodice Hütte - Sveto Brdo begegnet, sie kamen geradewegs vom Vaganski Vrh. Somit bin ich über die Wegverhältnisse informiert und kann sogar ihren Spuren durch die Firnfelder folgen.

Auf einer Wanderung durch den Velebit kann man hervorragend die Beschaffenheit der Karsttäler studieren. Anders, als wir das sonst gewohnt sind, sind diese Täler nach allen Seiten hin geschlossen. Es handelt sich dabei um nichts anderes als eingestürzte Höhlendecken, wobei die Größe dieser sogenannten Dolinentäler stark variiert. Sie bilden enge Trichter oder auch mehrere Quadratkilometer große, in sich geschlossene, rundliche Becken. Sie werden auch nicht etwa von Bergbächen durchflossen, sondern sind alle wasserlos. Jetzt im Frühjahr bieten die höher gelegenen Täler ein eindrucksvolles Schauspiel, da sich in ihren schattigen Löchern teilweise enorme Schneemengen sehr lange halten. Nicht nur in der Größe, auch in ihrer Flora und in der geologischen Beschaffenheit weisen die Dolinentrichter Unterschiede auf. Bei manchen ist die Trichterwand mit steilen Bergwiesen, mit Latschenbewuchs oder mit bewaldeten Abhängen ausgekleidet, andere sind völlig unnahbar von nackten, schroffen Felsen umschlossen, und es existieren selbstverständlich häufige Mischformen. Skurrile Kalkfelsen, die als seltsame Skulpturen aus der Landschaft herausragen, sowie unzählige Grotten, Spalten und Felstore gehören ebenfalls zu den typischen Erscheinungen im Karst.

Auf dem Weg zum Gipfel bleibe ich für mich. Aussichtsreich geht es über Bergwiesen und dichten Latschenbewuchs, sowie teils ausgedehnte Altschneepassagen. Erst als ich oben ankomme, treffe ich auf eine Gruppe von Slowenen, die von Norden her hierher aufgestiegen sind. Obwohl es sich beim Vaganski Vrh um den höchsten Velebit - Gipfel handelt, wirkt er auf den von Süden ansteigenden Wanderer wenig markant, eigentlich eine harmlose Graskuppe, deren beste Aussichtmöglichkeit zurück nach Süden etwas unterhalb des höchsten Punktes liegt. Gen Norden bricht der Berg schließlich doch noch über Felswände von für einen Alpinisten allerdings eher moderaten Ausmaßen ab. Die Fortsetzung der teils subalpinen, teils bewaldeten Bergkämme ist von hier oben sehr gut zu überblicken. Unterhalb des Gipfels mache ich sogar einen von Schnee umrahmten, kleinen Bergsee aus, den einzigen, den ich jemals im Velebit zu Gesicht bekommen soll .Ich ziehe auf meinem Weiterweg oberhalb dieses Sees vorbei, die Abzweigung, die hinunter zum Planinarski Dom führt, ignorierend. Ich fühle mich pudelwohl und mir stehen noch einige Sonnenstunden zur Verfügung, weshalb ich weiterhin der Hauptkammagistrale folgen will. Der Babin Vrh (1723 m) entgeht mir leider. Entweder habe ich eine abzweigende Markierung übersehen, oder der Gipfel ist nur weglos zu erreichen. Schließlich gelange ich zu den Almwiesen der Marasova Gora. An einem Brunnen lege ich zunächst eine Wasserpause ein, neben dem nach Osten abzweigenden Weg steht wieder ein deutlich sichtbares Minenwarnschild. Die Landschaft um mich herum ist faszinierend. Jeden Moment erwarte ich, daß Häuptling Winnetou und sein weißer Bruder Old Shatterhand von einer der umliegenden Bergkuppen herabgeritten kommen. Jetzt gesellt sich auch wieder ausgedehnter Mischwald zu den Bergwiesen.

An der malerisch gelegenen kleinen Struga - Hütte, wie die Ivine - Vodice - Hütte eine spartanisch eingerichtete Selbstversorgerunterkunft, haben sich bereits ein gutes Dutzend Wanderer breitgemacht. Ich aber habe mein Tagesziel noch nicht erreicht. In wenigen Gehminuten stehe ich auf der Höhe des Buljma - Passes (1394 m), von welcher aus man ein einmaliges Panorama genießen kann. Ein prachtvolles, sattgrün bewaldetes Tal wird von mehreren Nebentälern zerschnitten, im Hintergrund türmt sich die enorme Felswand der Anica Kuk, hinter welcher noch ein Stück des Meeresarms Velebitski Kanal erkennbar ist. Mit über 400 Metern ist der Abbruch der Anica Kuk die höchste Steilwand Kroatiens. Sie zählt zu den sogenannten "Big Walls", den ultimativen Herausforderungen für alpine Spitzenkletterer.

Wenn man aus Richtung der Struga - Hütte kommt, stellt sich einem der Buljma - Paß jediglich als harmlose Geländekuppe in den Weg, der Serpentinenweg auf der anderen Seite schlängelt sich allerdings über satte 800 Höhenmeter bis zum Planinarski Dom Paklenica hinab. Zunächst bleibt der Weg noch aussichtreich, bis er schließlich in den üppigen Bergwald hineinmäandriert, der mir hier allerdings besonders gut gefällt. Überhaupt verströmen die Wälder hier eine sehr intensive und wohlige Duftnote. Unterwegs fällt mir die Sohle meines linken Wanderstiefels ab und ich stelle fest, daß die des rechten Stiefels ebenfalls vollends aus dem Leim zu gehen droht. Ich war jahrelang mit Militärstiefeln in den Bergen unterwegs, und im Allgemeinen anerkenne ich sie auch als geeignetes Schuhwerk, aber geklebte Sohlen sind ein Ärgernis! Meinem weiteren Aufenthalt im Paklenica - Nationalpark sind nun Grenzen gesetzt. Ich werde die Nacht im Berghaus verbringen und am nächsten Morgen auf dem direkten Weg durch die Velika Paklenica nach Starigrad absteigen. Eventuell vorgesehene Abstecher, wie die Besteigung des Bojin Kuk, dessen Gipfel sich, statt in waghalsiger Kletterei durch die Steilwand auch über einen Normalweg erreichen läßt, fallen somit ins Wasser.

Am Planinarski Dom treffe ich, wie abgemacht, meine Freunde aus Samobor wieder. Während mein fehlender Absatz zur allgemeinen Belustigung beiträgt, ernte ich für meine heute begangene Route anerkennende Worte, worauf ich mir allerdings nichts einbilde, denn erstens bin ich 20 Jahre jünger als die Mehrzahl der Gruppe und zweitens hat nicht jeder so viel Zeit und Möglichkeiten, sich unterm Jahr sportlich zu aktivieren, wie das bei mir der Fall ist. Die Hütte ist größer und wesentlich komfortabler eingerichtet als die beiden vorhergehenden. In der für die Gäste zur Benutzung vorgesehenen Küche stehen auch Kochtöpfe, Porzellangeschirr und Besteck zur Verfügung, und übernachtet wird in Mehrbettzimmern. Die etwa 6 Jahre alte Tochter einer deutsch - kroatischen Familie führt mich gleich nach meiner Ankunft die Treppe hoch: "Du schläfst bei uns im Zimmer!" bestimmt sie und ich füge mich dieser Zuteilung. Der Hüttenwart ist ein etwas brummiger Kerl, mit dem man aber durchaus was anfangen kann, wenn man ihn richtig nimmt. Hier, wie auch in den meisten kroatischen Berghütten ist der Gast allerdings auf Selbstversorgung angewiesen.

Meine Freunde aus Samobor laden mich abermals zum Abendessen ein, und in der Zwischenzeit habe ich gelernt, daß es das Beste ist, ohne Umschweife zuzusagen und dann auch ungehemmt zuzulangen, denn die Leute freuen sich, wenn der Gast sich in ihrem Land wohl fühlt und wenn ihm das Essen schmeckt. Vor allem Franjo zeigt sich sehr interessiert an meinen vergangenen Reisen. Er selbst kommt auch ziemlich weit in der Weltgeschichte herum, unter anderem viel in Afrika, allerdings geschäftlich, und der begeisterte Alpinist und Naturliebhaber bedauert, daß er dann oft nicht die Zeit fände, sich den dortigen Landschaften und Bergen zu widmen.

Der Abstieg am folgenden Morgen findet in aller Gemütlichkeit statt, ich habe alle Zeit der Welt. Immer wieder drehe ich mich um , um meinen Blick zurück auf die hinter mir liegenden Bergkämme zu richten. Mit der Ruhe ist es in der Velika Paklenica vorerst vorbei, denn es ist Sonntag und unten am Schluchteingang befinden sich ein auf einer guten Straße erreichbarer Parkplatz und der öffentliche (und gebührenpflichtige) Eingang in den Nationalpark. Ein gut ausgebauter, auch für Familien mit Kindern problemlos begehbarer Wanderweg führt von dort bis hinauf zum Berghaus. Das Bachbett der Velika Paklenica führt Wasser, und überhaupt ist dieses Element in dieser prächtigen Schlucht wieder reichlich vorhanden. Hinter fast jeder Wegbiegung stößt man auf eine gefaßte Quelle, aus der erfrischendes Trinkwasser hervorsprudelt. Während der Hauptsaison bietet zudem das am Weg liegende Forsthaus Imbisse und Getränke.

Bald stehe ich gegenüber der mächtigen Felswand der Anica Kuk, welche die Paklenica - Schlucht nach oben hin abschließt und ich beziehe Stellung auf einem exponierten Felsen, wo ich in einer ausgedehnten Rast den Eindruck dieser gewaltigen Wand auf mich wirken lasse. Am rechten Pfeiler steigt gerade eine 4 - köpfige Seilschaft ein. Und mitten in der Wand mache ich zwei weitere Kletterer aus. Sie sind die einzigen, die in der riesigen Steilwand unterwegs sind und erscheinen mir wie zwei Stubenfliegen an der Wand des Kölner Doms. Ich werde neidisch vom Zuschauen. Die Durchsteigung dieser Wand (etwa 15 Seillängen) stellt allerdings Anforderungen, die ich bei weitem nicht erfülle, und auch für den Großteil der Anhänger des Klettersports dürfte diese "Big Wall" tabu bleiben. Auf dem Weiterweg durch den jetzt eng werdenden, beeindruckenden Canyon läuft man Spalier zwischen den unzähligen Sportkletterern, die an beiden Seiten der aufstrebenden Schluchtwände etliche Routen aller Schwierigkeitsgrade finden, die ultimative Wand bleibt jedoch die Anica Kuk, und die geringe Anzahl derer, die sich an ihr versuchen, deutet schon auf die besonderen Schwierigkeiten, die eine Durchsteigung dieses extremen Steilabbruchs mit sich bringt.

Ich installiere mich schließlich wieder auf dem Campingplatz des Hotel Alan, und genieße einen lauen Nachmittag, den ich lesend, essend und dösend im Schatten am Meeresufer zubringe. Gegen Abend mache ich mich noch einmal auf den Weg, um das Outdoor - Geschäft ausfindig zu machen, das mir bei meinem Anmarsch zur Mala - Paklenica an der Hauptstraße aufgefallen war. Unterwegs treffe ich ein letztes Mal meine Samoborer Freunde, die gerade vom Essen kommen und im Begriff sind, nach Hause zurückzukehren. Wir unterhalten uns noch ein wenig, und sie sind mir noch behilflich, den Laden zu finden, der zu meiner Überraschung geöffnet hat, obwohl Sonntagabend um 7 Uhr ist. Die Auswahl an Wanderschuhen ist zwar weder berauschend noch billig, man ist hier eigentlich mehr auf Klettervolk eingestellt, trotzdem bin ich froh, ein Paar taugliche Schuhe erwerben zu können, ohne dafür extra in die nächst größere Stadt fahren zu müssen, wo mir viel kostbare Zeit verlorengegangen wäre. Somit steht dem nächsten Abenteuer, der Besteigung des Bojin Kuk (1110 m), nichts mehr im Wege. Dieser wunderschöne Berg erhebt sich, bereits außerhalb der Nationalparksgrenzen gelegen, nordöstlich von Stari Grad, direkt hinter der Küstenlinie, von wo aus er für Wanderer wegen seiner auffallenden Form eine schwer wiederstehbare Verlockung darstellt.

Frühmorgens um 7 Uhr befinde ich mich, mit Tagesgepäck und genügend Wasser ausgerüstet, bereits auf dem Weg nach Milovci, einem kleinen Weiler an der Küstenstraße, kurz hinter Stari Grad. Dort führt eine Abzweigung hinauf nach Milovac, das gleichfalls aus nur wenigen, alten Häuslein besteht und wo der eigentliche Wanderpfad beginnt. Der wolkenlose Himmel kündet wieder einmal einen warmen Tag an, weshalb mir der frühmorgendliche, teilweise schattig verlaufende Anstieg, nur recht ist. Der schmale, steinige Bergpfad führt durch typisch mediterranes Gelände, wie man es auch in Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien antrifft. Man passiert Steinmäuerchen, die Hänge sind von schroffen Steinen und Felsen übersät, durchsetzt von niedrig gewachsenem Macchiabuschwerk. Diese Gewächse sind es, die der Luft eine besondere Duftnote verleihen. Kaiser Napoleon behauptete einst, er würde seine Heimatinsel Korsika mit verbundenen Augen an ihrem Geruch erkennen. Damit hat er eben diesen eigenwilligen Odeur gemeint, den man beileibe nicht nur auf Korsika erschnüffeln kann.

Zwei Raben flattern plötzlich erschreckt hoch, und ich vernehme ein Rascheln im Gebüsch neben einem Steinmäuerchen. Die Erfahrung hat mich bereits gelehrt, anhand des Raschelns in etwa zu erkennen, ob es sich nur um einen flüchtigen Gecko handelt, die hier selbstverständlich in Unzahlen vorkommen, oder ob da nicht etwa eine Schlange durch´s Buschwerk schleicht. Neugierig begebe ich mich vorsichtig in Richtung des Buschwerks und ich habe recht: ein ausgewachsenes, mindestens einen Meter langes Exemplar einer hier häufig vorkommenden, braunfarbenen Vipernart. Ich bin vor diesen gewarnt worden, denn ihr Biß hat bei nicht sofort erfolgender Behandlung tödliche Folgen. Normalerweise flüchten Schlangen, sie beißen einen Menschen grundsätzlich nur dann, wenn sie sich durch diesen bedroht fühlen, oder aber derart von ihm überrascht werden, daß ihnen keine Zeit mehr für die Flucht bleibt, z.B. wenn man versehentlich auf sie drauftritt. Durch meine bewußte Annäherung fühlt sich die Schlange nun bedroht und sie bewegt sich gereizt auf mich zu, was mich sofort innehalten läßt. Sie beruhigt sich wieder und verzieht sich durch ein Loch in der Mauer. Meine in der Paklenica - Schlucht aus dem Leim gegangenen Militärstiefel hatten den Vorteil eines hohen Schafts, so daß überraschende Schlangenbisse bisher praktisch ausgeschlossen waren. Die neuen Schuhe haben diesen Schaft nicht, weshalb ich mich in der Beziehung auch nicht mehr ganz so sicher fühle und jetzt doch mehr aufpassen muß, wo ich meine Füße hinsetze, um der - allerdings immer noch sehr geringen - Gefahr eines Schlangenbisses zu entgehen. Ich muß im Nachhinein sagen, ich habe noch nirgends so viele Schlangen gesehen, wie auf meinen Wandertouren in Kroatien. Jeden Tag mindestens ein Exemplar, und hier, am Bojin Kuk, waren es gleich vier. Die am häufigsten vorkommende Art ist die Kreuzotter, aber auch die braunen Vipern sind in großer Zahl vertreten. Vor den gleichfalls häufig vertretenen Blindschleichen braucht man sich nicht zu fürchten, sie zählen ohnehin nicht zu den Schlangen, sondern zu den Eidechsen. Eine weitere Gefahrenquelle tut sich auf bei der einen oder anderen Gipfelbesteigung, bei der man gezwungen ist, die Hände zu Hilfe zu nehmen, oder auf reinen Klettertouren. Man sollte immer zuerst schauen, wo man hinfaßt. Ich möchte aber trotzdem noch einmal betonen, daß die Gefahr eines Schlangebisses sehr gering ist und bei Beachtung der Sicherheitsmaßnahmen (Schaftstiefel, Umsicht bei Kletterpartien, bei Pausen zuerst schauen und dann hinsetzen, Zelt beim Verlassen und Wiederbetreten immer sofort schließen, ausgezogene Schuhe immer im Zeltinneren abstellen) kann man die Gefahr eigentlich auf gleich Null reduzieren.

Der Weg zum Bojin Kuk zeigt sich sehr abwechslungreich. Die Aussicht zurück über den Velebitski Kanal bleibt fast durchgehend erhalten, man passiert einen kleinen Marienschrein, und geht durch lichten Wald, um schließlich eine grüne Hochfläche zu erreichen, die ein fantastisches Ensemble riesiger Felsskulpturen trägt. Ich befinde mich hier sozusagen in einer "Felsenstadt", wie in Tschechien derartige Sammelsurien von Felstürmen- und kegeln genannt werden. Ein idealer Klettergarten wäre das hier, für die meisten Kletterer dürfte der "Hatsch" bis hierher jedoch zu lang und zu mühevoll sein, und das ist sicher, um der Ruhe dieses Ortes willen, gut so. Kurz darauf gelange ich in einen Sattel, der den Blick auf einen schönen, grünen Talkessel freigibt, in dessen Mitte sich eine weitere markante Kalkskulptur emporreckt, dahinter erhebt sich schon der imposante Gipfelaufbau des Bojin Kuk.

Das Tal ist schnell durchschritten und nun geht es neben und über enorme Kalkplatten aufwärts bis in einen weiteren Sattel, der durch glattgeschliffenen Kalk gebildet wird. Dort treffe ich auf eine ältere Dame aus Österreich. Ich habe mich also doch nicht getäuscht, als ich vorhin, beim Durchschreiten des Talkessels, Stimmen vernommen habe. Ich hatte beim Abstieg in den Kessel etwas Schwierigkeiten, den Weiterweg zu finden, ihr und ihrem Ehemann sei es ebenso ergangen, teilt mir die Frau mit. Dieser sei übrigens schon eine Weile lang unterwegs zum Gipfel, sie selbst traut sich die Einser - Kletterei durch das Kalkgemäuer des Gipfelaufbaus nicht zu. Der Weg hierher ist allerdings auch bei Verzicht auf den Gipfelsieg lohnenswert, und als kleine Entschädigung kann man dem Felsrücken nach links weiterfolgen und gelangt dann zum Nebengipfel Vidikovac, der entzückende Fernblicke über die zurückliegende Felsenstadt, den Velebitski Kanal und die umliegenden Gipfel gestattet. Hierbei umrundet der Felsrücken ein kleines Dolinenloch, welches kreisförmig von den Felsen eingeschlossen ist und mit seinem Baum- und Sträucherbestand wie ein verwilderter Garten wirkt.

Der Aufstieg zum Bojin Kuk führt nach rechts steil über weitere Kalkplatten in leichter Kletterei aufwärts, wobei in den Felsen eingelassene Eisenstifte als Tritthilfen an den schwierigeren Stellen behilflich sind. Wunderschön geht es über steile, aber griffige Kalkplatten hinauf zum weitläufigen Gipfelbereich, wo die höchste Erhebung durch einen hölzernen Stock markiert ist. Man kann hier oben über verschiedene Felsen hinwegturnen, bzw. über Felsspalten springen, wobei sich einem unterschiedliche Panoramen präsentieren. Das Panorama des Hauptgipfels umfaßt mehr das östlich gelegene Landesinnere, d.h. hinüber zum Hauptkamm, im Süden der scharfe Einschnitt der Velika Paklenica, sowie ein verlockendes, mit Almhütten bestreutes Tal. Begebe ich mich hinüber zum Westgipfel, so fokussiert sich die Aussicht auf die Küste mit ihrem vorgelagerten Fjordengewirr. In etwa den selben Ausschnitt bietet die Aussicht vom unter mir liegenden alternativen Gipfelziel Vidikovac. In weiter Ferne erkenne ich den auffallenden Betonturm des Hotel Alan. Von hier aus bin ich also in der Frühe gestartet, habe den ganzen Weg durch die Kraft meiner Füße zurückgelegt und werde auf diese Weise auch nach dort unten wieder zurückkehren. Dem Mann der Österreicherin bin ich nicht begegnet, er ist offenbar über einen der Nebengipfel bereits wieder abgestiegen.

Die Beschreibung meines Wanderführers empfiehlt die Rückkehr über den gekommenen Weg. Unterwegs habe ich mehrmals die Markierungshinweise "Veliko Ruino" gesehen, die mir auch schon bei meiner Wanderung im Nationalpark begegnet sind. Ich habe bislang keinen blassen Schimmer, ob es sich dabei um einen Berg oder vielleicht, um vom Namen her abzuleiten, etwa um alte Ruinen handelt. Da ich, wie gesagt, diesem Hinweis, einschließlich einem Wegweiser in Starigrad (Veliko ruijno 10 km) schon öfters begegnet bin, muß es sich offensichtlich um etwas Interessanteres handeln, was sich in etwa zwischen der Velika Paklenica, dem Bojin Kuk und der Ortschaft Starigrad befinden dürfte. Wasser steht mir noch in einigermaßen genügender Menge zur Verfügung, das Risiko ist kalkulierbar, und da die Orientierung zur Küste hin eindeutig ist, würde ich zur Not den Weg nach Starigrad ohne die Hilfe von Karte und Wandermarkierung zurückfinden, also wage ich als Rückweg diese Option.

Kurz unterhalb des Sattels zweigt die Markierung dann auch ab. Ich begegne einem jungen Mann, der mir bestätigt, was ich schon in etwa vermutet habe: bei dem vom Bojin Kuk aus einsehbaren, verlockenden Almboden handelt es sich um Veliko Ruino, und die Rückkehr von dort hinunter nach Starigrad sei wohl problemlos möglich. Das ebene Wiesental von Veliko Ruijno ist mit mehr als einem Dutzend Häuslein besprenkelt, teils neuerem Baudatums und manche gar im Stil von Wochenenddatschen, während andere, im traditionellen Baustil, wohl schon zig oder gar hundert und mehr Jahre ihr Dasein dort fristen, aber immer noch gut erhalten sind. Vor den meisten Häusern befinden sich Brunnenschächte, wobei man, wenn man die Deckel öffnet, dem einen oder anderen Schacht aufgrund der Spinnennetze, die sich dort schon zu Wollknäuel verdichtet haben, ansieht, daß er praktisch schon des längeren nicht mehr im Gebrauch ist. Zwischen den intakten Häusern findet man viele zu Ruinen verfallene Gebäude, der junge Kroate hatte vorhin gar von einer halbverfallenen Kirche gesprochen, die sich weiter oben, im nördlichen Ende des Tals, befinden soll. Ich vermute, daß ich mich hier auf einer Schäferalm befinde, die in den Sommermonaten sicher noch bestellt wird, aber jetzt ist keine Menschenseele hier, was dem Ort ein geheimnisvolles Ambiente angedeihen läßt. Da ich ein Liebhaber von solchen "Geisterorten" bin, und mir auch die Wegstrecke vom Bojin Kuk bis hierher gut gefallen hat, hat sich diese Alternative für den Rückweg voll gelohnt. Auch der Weiterweg ist gut markiert. Er zieht, unterwegs an einem einsamen Gehöft vorbeiführend, hinauf in einen Sattel, wo ich auf eine Schotterstraße stoße. Ich befinde mich nun am Ende eben jener Straße, die von Stari Grad aus hierherführt, und die unten im Ort mit dem Hinweis "Veliko Ruijno 10 km" beschildert ist.

Der Fahrpiste folgend, erreiche ich ein winziges Bergdorf, die Straße ist von nun an asphaltiert. Ich setze mich hinter den Häusern der Ortschaft auf eine schattige Holzbank, als sich die schlacksige Figur eines in weit offenem Hemd und alten Militärhosen gekleideten Greises mir nähert.. Der Alte setzt sich neben mich, mir entgeht nicht der Duft des Weines in seinem Atem. Wir führen eine witzige Unterhaltung, er auf kroatisch, ich auf deutsch, was in diesem Moment besser klappt, als man denken sollte. Bald verabschiede ich mich und nehme die letzten paar Kilometer hinunter nach Starigrad unter die Sohlen.

Tags darauf verlasse ich Starigrad. Gegen 10 Uhr morgens treffe ich im Küstenörtchen Karlobag ein, um zu erfahren, daß der nächste Bus nach Baske Ostarije, dem Ausgangsort meiner nächsten Wanderung, erst um 1 Uhr mittags fährt. Ich schlage also die Zeit tot, indem ich im Ort umherschlendere, an der Hafenmole herumhänge und zum Cappuccino in den Staßencafes raste. Etwas unangenehm ist die Tatsache, daß die am Meer entlangführende Hauptstraße zwecks Installierung einer Kanalisation derzeit mit viel Lärm umgegraben wird, was sich in Zukunft aber sicher positiv auf die Qualität des Meerwassers auswirken wird. Im Ort befinden sich zahlreiche heruntergekommene und zu einem großen Teil noch geschlossene Hotels, in vielen haben bereits die Renovierungsarbeiten begonnen. Ich vermute, daß die Hotelgebäude während des Krieges, der glücklicherweise nicht bis hierher getragen wurde, wohl als Flüchtlingsunterkünfte gedient haben, und ich habe den Eindruck, daß man hier derzeit kräftig die Ärmel hochkrempelt, um diesen an sich schönen Ort wieder fit für den Badetourismus zu machen.

Der Bus, der Karlobag mit dem im Landesinneren gelegenen Gospic verbindet, windet sich über die kurvenreiche Bergstraße höher und höher, aus dem Busfenster heraus genieße ich den schönen Meeresblick. Im kleinen Bergdorf Baske Ostarie (995 m) steige ich beim Hotel Velebo aus dem Bus. Dieses Haus ist eines der wenigen Berghotels, die es in Kroatien gibt. Im Winter findet hier sogar ein bescheidener Skibetrieb statt, in der Nähe des Hotels befindet sich ein Lift. Ich bin froh über die kühlere Luft und die angenehm frische Brise, die mich hier oben empfängt, denn unten in Karlobag hatte eine für den Wanderer doch schon wieder zu drückende Hitze geherrscht. Hier, in Baske Ostarije, werde ich zu der längsten zusammenhängenden Wanderung auf meiner Kroatien - Tour aufbrechen. Premuziceva Staza nennt sich der spannende Weitwanderweg, der in den Jahren 1930 - 33 aufgrund der Initiative des Ingenieurs Ante Premuzic gebaut wurde und mich vom mittleren bis weit in den nördlichen Velebit führen soll, wo das Gebirge auch seine größte Ausdehnung in der Breite erhält, nämlich etwa 30 Kilometer. Im Vergleich dazu kommt der Velebit im Süden oft nur auf etwa 10 Kilometer. Somit bleibt das Velebit - Gebirge, dessen südliche Bereiche ich ja bereits in den Bergen und Schluchten des Paklenica - Nationalparks kennenlernen konnte, weiterhin mein Thema, weshalb ich im Laufe meiner Reise einen umfassenden Eindruck vom bekanntesten Gebirge Kroatiens gewinnen soll.

Da im Hotel, entgegen meiner Erwartungen, keine Wanderkarte aufzutreiben ist, die das Gebiet des Premuziceva Staza abdeckt, starte ich mit Hilfe der dürftigen Wegbeschreibung in meinem Wanderbuch, das obendrein die Wegbegehung von Nord nach Süd erläutert, ich jedoch beginne mit meiner Wanderung sozusagen am anderen Ende. Ich erreiche zunächst problemlos den Weiler, der auf der im Foyer des Hotels Velebo hängenden Wanderkarte eingezeichnet war, und auf die ich vor meinem Aufbruch wenigstens noch einen Blick werfen konnte, um mich grob zu orientieren. Hinter dem Gehöft verbringe ich gute drei Stunden auf der Suche nach dem Weiterweg, was mir immerhin die unvorhergesehen Besteigung zweier Gipfel (Vrseljci, 1212m, und Kiza - Sattel) einbringt. Die Gegend um Baske Ostarije ist wirklich atemberaubend, und glaubt man den Darstellungen in den alten Karl - May - Filmen, könnte man sich hier mitten im Apachen - Gebiet wähnen. Zwischen bewaldeten Bergketten erheben sich die schönsten Kalkgipfel in kühnen, vielfältigen Formen, das satte Grün der Hochweiden und dichten Bergwälder kontrastiert hierzu, und im Westen reicht der Blick immer noch bis zum Meer, das hier allerdings schon in einige Entfernung gerückt ist. Ein mehrtägiger Aufenthalt im Hotel Velebo wäre somit durchaus empfehlenswert. Frische, deutliche Farbmarkierungen führen zu zahlreichen Gipfelzielen in der Umgebung, man sieht, daß diesbezüglich in jüngster Zeit wohl einiges unternommen wurde, um Wandertouristen einen Aufenthalt im Hotel schmackhaft zu machen.

Was bisher allerdings offensichtlich vernachlässigt wurde, ist die optimale Ausmarkierung des Zugangs zum Premuziceva Staza, dessen offizielle Wegführung erst einige Kilometer hinter dem oben erwähnten Weiler beginnt. Im Sattel unterhalb des Kiza - Gipfels kommt mir schließlich die Erleuchtung. Ich kombiniere die spärlichen Angaben in meinem Buch mit der Aussicht und komme zum logischen Schluß, daß der Premuziceva Staza eigentlich nur westlich von meiner jetzigen Position verlaufen kann. Ich folge nun der durch pfadloses Gelände führenden Markierung abwärts, hocherfreut darüber, daß diese tatsächlich zumindest Tendenzen in westliche Richtung aufweist. Als ich den vom Sattel aus bereits ausgemachten, breiten Feldweg erreiche, der vom Weiler wegführt, habe ich den Premuziceva Staza endlich erreicht, wie mir wenige Augenblicke später ein angerostetes Schild bestätigt. Im Gegensatz zu seinem Nordteil wird dieser Weg im Süden wenig begangen, weshalb die Markierung hier oft etwas verwittert, der Weg gelegentlich überwuchert und dem Verfall preisgegeben sein soll.

Es bleibt nicht mehr all zu viel Zeit bis Sonnenuntergang, so daß ich mit dem Vorsatz weitermarschiere, die sich mir nächst bietende, akzeptable Möglichkeit zum Biwakieren zu nutzen. Zunächst geht es angenehm flach durch Wald, bis ich schließlich eine Schotterstraße kreuze, wo sich mir offenes, wiesen- und macchiaüberzogenes Bergland präsentiert. Etwas unterhalb des Wanderweges mache ich eine halbwegs akzeptable Fläche für mein Zelt aus. Der Biwakplatz ist traumhaft, ich habe freien Blick über den schlanken Meeresarm hinüber zur Insel Pag, allerdings gibt es hier kein Wasser. Als ich essend vor meinem Zelt sitze, den Sonnenuntergang und den anschließenden Einbruch der Dämmerung genießend, höre ich hinter mir ein Klappern. Ein Fahrzeug mit Anhänger scheppert, langsam durch Schlaglöcher schwankend, über die holprige Piste hinunter zur Küste, vermutlich Bauarbeiter, die Feierabend haben. Es sollen noch zwei oder drei weitere Autos folgen, und es ist irgendwie ein spannendes Gefühl, die Fahrzeuge zu beobachten, während weder die Insassen noch irgendein anderer Mensch mich hier oben in dieser Einsamkeit vermuten. Im Ort drüben auf der Insel gehen die Lichter an und nach einer Weile verkrieche ich mich ins Zeltinnere, um mir den wohlverdienten Schlaf zu gönnen.

Die heutige Etappe führt immer wieder durch große Waldabschnitte, der Weg verläuft fast ausschließlich eben und ohne wesentliche Richtungsänderungen. Diese Art der Wegführung soll sich noch als typisch für die Südetappe des Premuziceva Staza erweisen. Gelegentlich ergeben sich Ausblicke zum Meer hin sowie zu den direkt hinter der Küstenlinie aufstrebenden, schroff - kargen Bergketten. Wer auf der Südetappe die fantastische Gebirgswelt des inneren Velebit kennenlernen möchte, dem sei empfohlen, einen oder mehrere der am Weg gelegenen Berge zu besteigen. Immer wieder führen gut markierte Abzweigungen zu in Wegnähe gelegenen Gipfelzielen. Einer der interessantesten soll der Budakovo Brdo (1318 m) sein, das Problem der Wasserversorgung hält mich aber von solchen Exkursionen ab, was sicherlich bedauerlich ist, da gerade der Südweg, da er ständig auf halber Höhe in den Berghängen verläuft, und, wie gesagt, auch viel durch Wald führt, ohne derlei Garnierungen doch oft etwas langweilig wird. Der Premuziceva Staza ist aufgrund seiner Bauweise - befestigter Schotter, ähnlich einem Bahndamm, auf dem die Gleise abmontiert wurden, selbst an den verfallenen Stellen gut zu erkennen, so daß, wenn man ihn einmal gefunden hat, die Wegfindung trotz ausgebleicher Markierungen auch im Süden immer recht einfach ist. Daß der Weg trotzdem ansteigt, auch wenn man das kaum merkt, läßt sich an den nach Norden hin zunehmenden Höhenmetern feststellen.

Auf der gesamten Wanderung kommt man zwischen den beiden Ortschaften Baske Ostarije und Oltari durch keine Ortschaften mehr, in Wegnähe passiert man jediglich drei Schäferalmen und drei Berghütten, deren Standorte so ungünstig verteilt sind, daß es am Besten ist, mit dem Zelt unterwegs zu sein. In einem weiten, sattgrünen Dolinental verteilen sich unter mir die wenigen Steinhäuschen der Schäferalm Radlovac. Will man sich diesen Weiler genauer anschauen, was sich auf jeden Fall lohnt, muß man vom Hauptweg aus in etwa einer halben Stunde hinuntersteigen. Mein Hauptanliegen für diesen Abstecher hat jedoch in erster Linie einen praktischen Grund: der dringende Bedarf an Wasser.

Doch bereits beim Annähern an die Häusergruppe, vorbei an durch Steinmäuerchen begrenzte Weideparzellen, werde ich von einer Mischung aus Neugier und mystischer Spannung ergriffen. Dieser Ort wirkt auf mich noch geheimnisvoller und weltvergessener, als Veliko Ruijno. Während einige der aus grauem Naturstein errichteten Häuschen offensichtlich noch im Gebrauch sind, findet man hier ebenfalls zwischen Buschwerk und teilweise bereits von der Vegetation überwuchert, verfallene Ruinen. Vor einem der Häuser hängen Kleidungstücke und Bettzeug zum Trocknen. Hosen, Hemden und Jacken, etwas zerschlissen, ärmlich, wie sie häufig von Schäfern auf dem Balkan getragen werden. Es ist jedoch niemand da. Franjo hatte mir gesagt, daß, wenn man in Radlovac den Schäfer antreffen würde, es möglich sei, bei ihm zu übernachten, und er würde auch für seine Gäste kochen. An der Abzweigung, wo die verblichene Markierung nach Radlovac hinunterführt, ist auch mit roter Farbe ein Haus aufgepinselt, was wohl auf diese Unterkunftsmöglichkeit hinweisen soll. Die kleine Kapelle trägt die Jahreszahl 1996 über der Tür, ist also alles andere als antik, dafür aber im traditionellen Stil gemauert, graufarbener Naturstein mit offenem Glockenturm. Das Glockenseil soll wohl weniger dazu dienen, zur heiligen Messe zu rufen, als vielmehr zu einer Art Hausglocke. Ich unterlasse es, daran zu läuten, schließlich will ich nicht riskieren, eine eventuell doch anwesende Person, die möglicherweise auf einer einen oder anderthalb Kilometer entfernten Parzelle mit Arbeit beschäftigt ist, von der Arbeit wegzuholen, nur um zu sagen: "Hallo, ich bin da, ich hol´ nur schnell etwas Wasser!" Daß hier noch keine Schafe aufgetrieben sind, liegt vielleicht daran, daß es dafür noch zu früh ist. Würde man sie jetzt schon, also Anfang Mai, auf die Weiden treiben, so könnte man mit ihnen möglicherweise Mitte Juli wieder ins Dorf zurückkehren, weil dann schon bereits alles abgegrast wäre, so denke ich. Vermutlich läßt man dem Gras erst mal etwas Zeit, richtig zu gedeihen.

Ich finde mehrere vernachlässigte Brunnen im Weiler vor, und schließlich schöpfe ich frisches Wasser aus dem intakten Brunnen des Haupthauses. Nach einer ausgedehnten Vesper- und Trinkpause mache ich mich wieder auf den Weiterweg. Weiter in Abwechslung durch Wald und offenes Wiesen - oder Macchiagelände führt der Weiterweg an einer Abzweigung vorbei, die ich mir diese Mal nicht entgehen lassen will. Der 1624 Meter hohe Gipfel Satorina wird auch in meinem Wanderführer zur Besteigung empfohlen, genügend Wasservorräte habe ich ja wieder, und so entschließe ich mich kurzerhand, den Rucksack zurückzulassen und den Anstieg zum Gipfel anzugehen. Ich binde mir meine Jacke um die Hüfte, für den Fall, daß es oben zugig wird, der Höhenunterschied dürfte gute 500 Meter betragen, nehme jedoch, in der Annahme, den Gipfel rasch zu erreichen, kein Wasser mit.

Zunächst geht es längere Zeit steil aufwärts durch den Laubwald, bis ich zu einer Wiesenkuppe gelange, von wo ich bereits einen Gipfel ausmache. Dieser ist jedoch noch lange nicht die Satorina. Schließlich gelange ich über die Baumgrenze hinaus und finde mich auf einer Bergwiese in prächtiger, typischer Berglandschaft, von bleichen Kalkfelsen, kargen Berggipfeln und unzähligen Dolinentälern umgeben. Wieder glaube ich, den Satorina - Gipfel in wenigen Augenblicken erreicht zu haben, die Markierung führt allerdings abermals an dem von mir vermuteten Gipfel vorbei, hinauf in einen Sattel, um wiederum hinab in ein Waldstück zu führen. Jetzt habe ich zwar den richtigen Gipfel im Blick, aber um ihn zu erreichen, muß ich noch drei weitere Sättel überschreiten, wobei ich jedesmal denke: "Das war nun wohl der Letzte!". Es war ein Fehler, kein Wasser mitzunehmen, denn bis zum Gipfel brauche ich satte zweieinhalb Stunden, zuviel bei der Wärme. Die Jacke mitzunehmen war unnötig. Ich beginne, den Schnee der Firnfelder in meinem Mund zergehen zu lassen, um den Gaumen wenigstens ein bißchen Feuchtigkeit zu gönnen, hüte mich aber davor, dieses Dreckwasser herunterzuschlucken.

Was die Südetappe des Premuziceva Staza oft zu wünschen übrig läßt, bieten einem der Anstieg und der Ausblick vom Satorina - Gipfel: den Ausblick auf eine herrliche Bergwelt, wo weiße Felstürme aus deftiggrüner, geschlossener Vegetation herausragen. Betrachtet man jedoch die dem Meer zugewandten Bergketten, so präsentieren sich einem karge, schroffe Kämme, auf denen, besonders in den Gipfelbereichen, die Steine die Vegetation zurückzudrängen scheinen. Weit im Süden erkenne ich die markante Bergkette aus besonders schönen Kalkformationen, die sich im Einzugsgebiet von Baske Ostarije befindet, und auf deren südlichen Ende ich selbst schon gestanden war, als ich mich im Kiza - Sattel befunden hatte. Auch die Küstenlinie ist zu sehen, allerdings in gewisser Entfernung, denn die Satorina befindet sich im dem Landesinneren zugeneigten Teil des Velebit - Gebirges. Besonders imponierend erscheint mir ein herrlich grünes Tal, das sich quer durch mehrere Bergketten hindurchschneidet und kein Dolinental ist, sondern zu seinem Ausgang hin geöffnet zu sein scheint. Beim Anblick der Wälder muß ich an die Artenvielfalt der hier lebenden Tiere denken: Selbst Braunbären, Wölfe und Luchse sollen in den riesigen Waldgebieten dieser praktisch unbesiedelten Bergwelt noch ein artengerechtes Dasein führen. Den Rückzug vom Gipfel ziehe ich in Windeseile durch, wobei mir ein paar Gegenanstiege hinauf auf die zuvor überschrittenen Sättel nicht erspart bleiben. Als ich meinen Rucksack wieder erreiche, sind innerhalb weniger Minuten anderthalb Liter Wasser fällig.

In der Folge tangiert der Wanderweg eine weitere Alm, die sich ebenfalls in einem weit ausladenden Becken befindet. Mliniste heißt dieser Weiler. Diesmal bin ich zu faul, nochmals hinunterzusteigen, ich möchte heute noch ein gutes Stück auf die Berghütte Veliki Alan zusteuern. Der Grund ist nicht etwa, den Prmuziceva Staza so schnell wie möglich zu durchlaufen, sondern mein Ehrgeiz und meine Neugier, zum Schluß noch ein weiteres Gebirge in Kroatien anzuschneiden, das sich sowohl in seiner geographischen Lage, als auch von seiner kulturellen Umgebung in Vielem von Dalmatien oder dem kroatischen Binnenland unterscheidet: das Ucka - Gebirge, das die Halbinsel Istrien vom Rest Kroatiens trennt. Im Nachhinein muß ich zugeben, daß es klüger gewesen wäre, nach Mliniste hinabzugehen und dort die Nacht zu verbringen. Diese Einsicht kommt auch im Weitergehen, als ich immer mehr das Nachlassen meiner Kräfte zu spüren bekomme, der Tag war lang und sehr mühevoll, zurückgehen möchte ich allerdings nicht. An einem Wiesenhang steige ich, zunächst ohne Gepäck, im steilen Hang, durch Buschwerk und dichte Heidematten, ziemlich weit nach oben, um dort endlich ein halbwegs flaches Plätzchen zu finden. Den Untergrund bildet ziemlich hoch gewachsenes Heidegestrüpp, weshalb ich beim Hinliegen, wie in einem alten, durchgelegenen Bett, in eine natürliche Matratze hineinsinke. Ich setze mich zum Essen auf einen Felsen, die Küche bleibt auch heute wieder wegen Wassermangels kalt. Der Ausblick ist berauschend, die ockerfarbene Insel Pag liegt praktisch zu meinen Füßen, und ich genieße den Sonnenuntergang mit dem eigenartigen Bewußtsein, an einer Stelle zu campieren, auf die vielleicht noch nie zuvor ein anderer Mensch seinen Fuß gesetzt hat.

Wer für Aussichten über´s Meer schwärmt, ist auf dem Teilstück Mliniste - Veliki Alan gerade richtig, denn nirgendwo sonst auf dem Premuziceva Staza bieten sich derer so zahlreiche. Da der Weg sich hier sehr nahe der Adriaküste zuneigt, ist dieser Abschnitt aufgrund der Vegetationsarmut der Küstenstriche kaum bewaldet, d.h. aussichtsreich und das Meer scheint zum Greifen nahe. Die ewig langgestreckte Insel Pag läßt man hier langsam hinter sich, es ragt nur noch die äußerste Nordspitze ins türkisblaue Adriawasser. Eine weitere Insel tritt nun auf den Plan, die vergleichsweise kleinere, leicht konisch geformte Insel Rab, die im Gegensatz zu dem ariden Erscheinungsbild des südlichen Nachbarn, in einigen Bereichen mit Wäldern und Büschen überzogen ist. Dahinter, verschwommen am diesigen Horizont lassen sich die Gestade der langgestreckten Insel Cres ausmachen. Bevor der Pfad die Veliki - Alan - Hütte erreicht, führt er an einem weiteren Weiler vorbei, der, zwar schön gelegen, doch etwas moderner und nicht so romantisch erscheint, wie Radlovac und Mliniste.

Die Veliki - Alan - Hütte (1340 m) liegt direkt an einer Schotterpiste, und ist, wie offenbar alle kroatischen Berghütten, eine Selbstversorgerhütte. Die Ausstattung entspricht in etwa der von Paklenica Skloniste, d.h. es steht eine komplette Küche mit Geschirr und Kochutensilien zur Verfügung. Der Hüttenwart ist allerdings nur in der Saison am Wochenende hier oben, weshalb der Schlafraum verschlossen bleibt, eine kleinere Gruppe könnte es sich allerdings auch, mit Isomatte und Schlafsack ausgerüstet, sehr gut auf dem Küchenboden bequem machen, ein großer Holzisch, Stühle und ein Paar Kerzen sind vorhanden. Da sich hinter der Hütte ein Brunnen befindet, nütze ich die Gelegenheit, endlich mal wieder zu kochen. Wie ich´s mir so am Tisch draußen vor der Hütte bequem mache, nähert sich über die staubige Piste ein Geländewagen. Das wird wohl der Hüttenwart sein, denke ich. Der Wagen trägt die Aufschrift "Adria - Tours", und es steigen vier Männer aus, die mich begrüßen und sich mir gleich vorstellen. Sie seien Mitglieder des auf der Insel Pag neu gegründeten Bergvereins, so der gut deutsch sprechende Wortführer der Gruppe, und sie wollen sich einige Objekte hier im Gebirge anschauen. So werden ein paar Fotos von der Hütte und ihrer Umgebung gemacht, und es findet eine längere Unterhaltung auf kroatisch statt. Ich vermute, daß die vier Herren eher kommerzielle Ziele vor Augen haben, sprich Tagesausflüge oder geführte Wanderungen für Touristen der Insel Pag. Dagegen ist auch sicher nichts einzuwenden, wenn das Ganze ökologisch verträglich abläuft. Bevor die Vier ihre Fahrt fortsetzen, teilt mir der Fahrer noch seine sicher gut gemeinten Bedenken darüber mit, daß ich meine Wanderung mutterseelenallein durchführe. Ich bekomme das oft zu hören, und sicher hat er Recht, wenn er anführt, daß ich wohl im Falle eines Vipernbisses ziemlich hoffnungslos verloren wäre. Die Gefahren des Alleingehens sind mir durchaus bewußt, seit gut 10 Jahren unternehme ich derlei Exkursionen zum größten Teil alleine und in Eigeninitiative, und ich vertrete die These, daß allein Wandern unter gewissen Umständen sogar sicherer sein kann, als mit Partner. Erfahrung, gute Planung und verantwortungsvolles Handeln sind jedoch die Grundvoraussetzungen.

Nun folgt die Königsetappe des Premuziceva Staza. Bereits kurz hinter Veliki Alan erheben sich vor meinen Augen atemberaubend schöne Bergketten. Und ist der Weg bisher fast ausschließlich gleichförmig geradeaus mit kaum merklichen Anstiegen verlaufen, soll sich dies nun ändern. In Serpentinen schlängelt sich der Pfad nun neben glatten Felswänden empor, gewährt Tiefblicke in die faszinierendsten Dolinentäler, die ich je gesehen habe. Ich stapfe jetzt auch vermehrt wieder durch ausgedehnte Altschneereste, was wohl nicht zuletzt mit dem erneuten Höhengewinn zu tun hat, passiere ein Felstor und steinerne Portale, und sehe mich eingekesselt von prächtig geformten Kalkgipfeln, die sich aus dichten, dunklen Bergwäldern erheben, eine Landschaft, die die Horizontale offensichtlich nicht dulden will. Hatte der Weg im Süden noch durch von Buchen beherrschten Laubwald geführt, so übernehmen hier immer eindeutiger hochstämmige Tannen die botanische Dominanz. In kuirzer, einfacher Kletterei erreiche ich gepäcklos den Gipfel der Crikvena, einem typischen, markanten Kalkkoloß, von denen es hier nur so wimmelt. Nachdem sich der Weg dann zu einer gewissen Höhe hinaufgeschraubt hat, führt er mich in wilden Schlangenlinien durch eine surrealistische Karstlandschaft zwischen wuchtigen Kalkgipfeln und gähnenden Dolinenlöchern, die perfekte Kulisse für einen Fantasy - Film. Rozanski Kukovi nennt sich dieser eindrucksvolle Felsirrgarten, ein echter Geheimtip für alle Berg - und Naturliebhaber. Wenn jemand also unter Zeitdruck steht, oder auch sonst keine Lust hat, den Premuziceva Staza in seiner gesamten Länge zu begehen, dann empfehle ich unbedingt das Teilstück Veliki Alan - Zavizan - Hütte.

Die winzige, aus Kalkstein gemauerte Rossievo Skloniste (1580 m) ist von allen Berghütten, die ich in Kroatien gesehen habe, die am genialsten gelegene. Der nahezu alpine Standort überhalb eines steilen Felsabsturzes inmitten des Felsenlabyrints der Rozanski Kukovi läßt wohl das Herz eines jeden Bergfreundes höher schlagen. Die Einrichtung ist etwas spartanisch, aber gut. Trotzdem will ich meinen Weg fortsetzen, um heute noch die Zavizan - Hütte zu erreichen, das mit 1594 m höchstgelegene Berghaus Kroatiens. Der Weg setzt sich weiterhin durch berauschende Berglandschaft fort, schließlich passiere ich das Schild, welches den Anfang, oder in meinem Fall das Ende des Premuziceva Staza anzeigt. Inzwischen sind düster Wolken aufgezogen, und als ich den geteerten Zufahrtsweg hinauf zum Zavizan - Berghaus unter die Sohlen nehme, beginnt es schon zu tröpfeln. Als ich im Refugium ankomme, treffe ich auf den Hüttenwart und ein paar Helfer, die das Haus für die Ankunft von Wochenendgästen vorbereiten, denn morgen ist schließlich Freitag. Obwohl keiner der anwesenden Herren englisch oder deutsch spricht, werde ich freundlich und wortreich empfangen. Der Aufenthaltsraum hat die wohlige Gemütlichkeit einer rustikalen Bergunterkunft, schöne Bilder vom Velebit zieren die Wände. Nachdem ich erst einmal tüchtig gegessen habe, und das drohende Gewitter ausgeblieben ist, mache ich mich auf zum Gipfel des Berges Vucjak, an dessen Rücken sich die Zavizan - Hütte schmiegt und von welcher aus er in wenigen Minuten zu erreichen ist. Auf 1644 Metern mache ich es mir gemütlich und werde erneut Augenzeuge eines dramatischen Sonnenuntergangs über der Adria. Die rot leuchtenden Strahlen der versinkenden Sonne glänzen auf der Wasserfläche wie auf einem mit Goldplatt übersiegelten Spiegel, ein Traummoment, kalenderblattreif! Ich wende meinen Blick zurück ins Landesinnere, dort recken sich die wilden Kalkgipfel der Rozanski Kukovi dunkelgrauen Regenwolken entgegen, ein ernstes, düsteres und zugleich faszinierendes Schauspiel! Als ich zur Hütte zurückkehre, ist es fast Nacht. Die Schlafkammer des Hauses bietet Betten für ein Paar Dutzend Gäste. An diesem Donnerstagabend bleibe ich jedoch der Einzige.

Heute ist mein letzter Tag im Velebit, doch noch ehe ich mich mit Sack und Pack nach Oltari, dem Endpunkt meiner Wanderung, aufmache, möchte ich noch ein paar Stunden in der lohnenswerten Umgebung der Zarzivan - Hütte verbringen. Als Erstes statte ich dem botanischen Garten (Velebitski Botanici Vrt), der sich keine 500 Meter unterhalb der Hütte befindet, einen kleinen Besuch ab. Dieser Garten ist in einer typischen Velebit - Landschaft angelegt. In und rings um ein felsenbestandenes Dolinental am Fuße des Berges Veliki Zavizan eignen sich die durch den Garten führenden Wanderwege auch für weniger an Botanik Interessierte als wundervolle Spaziermöglichkeit durch eine entzückenden Landschaft. Etwa 2600 verschiedene Pflanzenarten existieren im Velebit, darunter auch zig endemische Spezies, d.h. Gewächse, die nur hier im Velebit vorkommen. Um diese Jahreszeit stehen noch lange nicht alle Pflanzen in der Blüte, und an manchen Namensschildern suche ich das zugehörige Gewächs vergebens. Ein Pflanzenfreund könnte sicher den ganzen Tag in diesem Garten zubringen, ich begnüge mich jedoch mit einem gemütlichen Rundgang.

Der Veliki Zavizan, nachdem schließlich auch die nahegelegene Hütte benannt ist, ist von hier aus in etwa einer Stunde besteigbar. Es handelt sich um einen der höchsten Berge in diesem Teil des Velebit, und es ist für mich zudem die letzte Chance, noch ein letztes Mal zu einem Gipfel in diesem einzigartigen Gebirge zu gelangen, bevor mich meine Reise in andere Gefielde führt. Aus 1676 Metern Höhe bietet sich mir erneut ein fantastisches Panorama, das Rozanski Kukovi, die adriatische Inselwelt und den Vucjak mit der Zavizan - Hütte umfaßt. Im Abstieg gerate ich nochmals in den Bereich des botanischen Gartens. Einer der Spazierwege führt übrigens in die Sohle des Dolinentales hinunter, aber zugegebenermaßen bin ich jetzt zu faul, hinab - und danach wieder hinaufzusteigen. Eine Bequemlichkeit, die ich später sicher noch bereuen werde, da ich bis jetzt nicht ein einziges Mal einer Doline richtig auf den Grund gegangen bin. Andererseits ist es doch noch ein gutes Stück bis nach Oltari, und so kehre ich zur Hütte zurück, um den schweren Rucksack zu schultern, mich vom Hüttenwart zu verabschieden und den hinter der Hütte beginnenden Pfad durch schattigen Wald einzuschlagen, bis dieser auf den Fahrweg stößt, wo bald schon das Minidorf Oltari sichtbar wird. Abermals sieht es nach Regen aus, der allerdings auch dieses Mal wieder ausbleiben wird.

Oltari besteht aus nicht einmal zehn Häusern, die sich links und rechts der Bergstraße aufreihen, welche sich über zig Serpentinen zur Küste nach Sveti Juraj hinunterschlängelt. Vor dem etwas heruntergekommen Haus des kroatischen Bergvereins lehnen zwei Männer um einen draußen stehenden Tisch. Die Tür des Restaurants steht zwar offen, trotzdem ist angeblich geschlossen. Dafür erhalte ich die Auskunft, daß in einer knappen Stunde mit dem in Leerfahrt nach Sveti Juraj zurückkehrenden Schulbus eine Beförderungsmöglichkeit bestehe.

Ich habe Glück, und der Fahrer bringt mich sogar bis nach Senj, der nächsten größeren Stadt an dem hier besonders dünn besiedelten Teilstück der dalmatischen Küste. In einem Straßencafe gegenüber dem Hafen mache ich es mir bequem. Der Bus nach Rijeka läßt nicht allzu lange auf sich warten. Im Bus komme ich mit zwei über´s Wochenende heimkehrenden Soldaten ins Gespräch, beide sind Istrier, und einer davon ein passionierter Kletterer, weshalb der Gesprächstoff bis Rijeka nicht ausgeht. Dort müssen die beiden umsteigen, da sie in Richtung Porec an der Westseite Istriens weitermüssen. Ich kann sitzenbleiben, da der Bus bis nach Pula, nahe der Südspitze der Halbinsel weiterfährt und mein Ziel, das Städtchen Lovran, auf dem Weg liegt. Lovran und das etwas größere Opatija liegen nahe beieinander an der istrischen Ostküste und gehören zur Region Kvarner Bucht. Man könnte fast sagen, bei Rijeka um´s Eck, die Insel Cres ist diesen Küstenorten unmittelbar vorgelagert.

Von Lovran aus mache ich mich zu Fuß hinaus zum nahen Camping Medveja, wobei ich gezwungen bin, ein gutes Stück der nicht besonders fußgängerfreundlichen Küstenstraße zu folgen. Zwei Dinge werden dem aus Dalmatien kommenden Reisenden in Istrien sofort auffallen: Eine im Vergleich zur trockenen dalmatischen Küste reiche, beinahe subtropische Vegetation, und der Einfluß Italiens, und zwar nicht nur bezüglich der Architektur, sondern auch in Mentalität, Sprache und in der Küche. Das Istrische ist ein kroatischer Dialekt mit reichlich italienischen Einflüssen, Italienisch beherrscht ohnehin fast jeder Istrier als Zweitsprache. Die Tatsache, daß die grenznahen Nachbarn hier gerne ihren Urlaub verbringen, führt zu einer zusätzlichen "Italienisierung".

Der Campingplatz Medveja liegt inmitten sattem Bewuchs, und die Bäume scheinen von Singvögeln überbevölkert. Abgesehen von ein paar besoffenen Österreichern, die zur späten Stunde auf den Campingplatz zurückkehren, ist es das auch nachts nicht verstummende, dschungelähnliche Vogelgezwitscher- und gepfeife, das hier so manchen Gast nicht zur Ruhe kommen läßt. In unmittelbarer Umgebung des Platzes schießen schrofige Berghänge aus dem Boden, das Ucka - Gebirge beginnt somit unmittelbar hinter der Küstenlinie. Es trennt Istrien vom kroatischen Binnenland ab und schiebt sich mit dem Sisol - Kamm noch weit in die Halbinsel hinein.

Der höchste Gipfel des Ucka - Gebirges und somit auch Istriens ist der knapp 1400 Meter hohe Vojak, der sich von Lovran aus in einer Tagestour besteigen läßt. Nicht unbedingt für Konditionsschwache geeignet, bedeutet dies die Vernichtung von reichlich Höhenmetern, um vom Meeresspiegel bis hinauf zum obengenannten Gipfelziel zu gelangen. Als Auftakt schlendere ich am nächsten Morgen erst einmal ein wenig durch die idyllischen Altstadtgassen von Lovran, ehe ich mich auf dem nahen Markt mit Trinkwasser und Tagesproviant versorge und den Weg nach oben antrete. Man muß unzählige Steinstufen zurücklegen, bis man die letzten Häuser hinter sich läßt, eine deutsche Diplomatennummer vor einer sich im Bau befindlichen Villa deutet darauf hin, wer hier oben in prächtiger Hanglage mit weitem Meeresblick siedelt. Exakt an der Stelle, wo mein Wanderführer in der Wegbeschreibung vor Hundegebell warnt, steckt ein wildgewordener Vierbeiner seinen mächtigen Kopf durch den Eisenzaun, um mich mit energischem Gebell zu empfangen. In Fortsetzung führt ein Bergpfad durch waldige Hänge. Überhalb eines zum Meer hin geöffneten Tales zieht der Wanderweg gleichfalls durch den Hang, jetzt aber mit schöner Aussicht auf´s Meer und hinunter zu einer sich pittoresk an den Hang schmiegenden Ortschaft. Es ist einiges an Anstieg zu vollbringen, bis man die erste Lichtung erreicht, wo man einen kurzen Blick auf das angestrebte Bergziel, jedoch noch nicht zu dessen Gipfel, erhascht. In übertrieben steil angelegten Serpentinen geht es nochmals durch Mischwald hinauf, bis ich schließlich auf einer offenen Wiese stehe. Das dort stehende Wegeschild erweist sich für den Aufsteiger als überflüssig, denn nun führt der Pfad klar sichtbar den vor mir sich erhebenden Grasberg aufwärts, bis die Kammhöhe erreicht ist, wo sich vor mir der Natursteinturm erhebt, welcher den höchsten Punkt des Gipfelbereiches markiert. Über die Höhe des Vojak differieren die Angaben: In meinem Büchlein ist von 1394 Metern die Rede, anderswo habe ich aber auch schon 1400 Meter gelesen. Vermutlich muß man da die geographische von der tatsächlichen Höhe durch die Präsenz des Turms auseinanderhalten, d.h., die Turmplattform macht diesen Berg wohl zum vollständigen 1400 -er.

Die Sicht läßt heute etwas zu wünschen übrig, es ist zu diesig für das große Panorama. Von hier aus sollen an klaren Tagen nämlich die wichtigsten Gebirge Kroatiens deutlich zu sehen sein, vor allem das im Osten sich erhebende Risnjak - Gebirge, welches bekannt ist für seinen Schneereichtum im Winter und für seine Braunbären - und Wolfspopulation. Auch der Velebit ist normalerweise gut zu sehen, doch von beiden Gebirgen lassen sich heute nur die Schemen ausmachen. Das bergige, wenig besiedelte Landesinnere Istriens ist hingegen gut zu überblicken. Den Abstieg bringe ich im Schweinstempo hinter mich, ich möchte mich in Lovran mit einer Riesenportion Eis in einem der schönen Cafes unten am Meer belohnen. Dem Eisbecher füge ich noch zwei aufputschende Cappuccinos hinzu und nehme anschließend den local bus nach Opatija, der ehemaligen Sommerfrische der alten K.u.K. - Monarchie.

Eine Altstadt im Stile von Lovran, mit engen, verwinkelten Gassen, sucht man hier vergebens, dafür setzt sich das Ortsbild aus prachtvollen Luxusvillen im Stile des 19. Jahrhunderts zusammen. Die Fassaden der Hotels, in denen ehemals die blassen Blaublütler des österreichisch - ungarischen Adels zur Erholung weilten, sind frisch herausgeputzt und verleihen der Stadt ein mondänes Flair, welches sich besonders auf der Flaniermeile entlang des Hafens bemerkbar macht. Es ist immer noch Nachmittag und mir bleibt Zeit für eine weitere, kleinere Wanderung, die mich zum nahen Bergdorf Veprinac hinaufführen soll. Über Treppenstufen, Teersträßchen, aber auch über einen schönen Waldpfad gelange ich in das alte Dorf mit seiner sehenswerten Wehrkirche, wo es sich gut unter hohen Bäumen mit Blick über die Kvarner Bucht entspannen läßt. Bereits im Aufstieg ist ein harmloser Nieselregen niedergegangen, der mir jedoch zur Erfrischung dienlich war. Die grauen Regenwolken am Himmel verleihen den alten Gemäuern eine düstere Atmosphäre, das feuchte Kopfsteinpflaster und die verlassenen Gassen unterstreichen die herb - romantische Szenerie.

Es gibt einen alternativen Rückweg, der sich allerdings nach einer Weile wieder mit dem Aufstiegsweg verbindet. In Opatija nehme ich mir noch etwas Zeit für die schöne Uferpromendade, bevor ich den Bus zurück nach Lovran nehme, von wo aus ich zu Fuß wieder nach Medveja zurückkehren muß, da die dortige Haltestelle nicht oft bedient wird. Ein letztes Abendessen im Strandrestaurant gegenüber dem Campingplatz, dann wieder eine unruhige Nacht, da im dem Campingareal angeschlossenen Hotel eine Tanznacht mit Live - Band stattfindet.

Frühmorgens nehme ich wieder den Fußweg nach Lovran, der Bus, den ich dort besteige, bringt mich direkt in die Hafenstadt Rijeka, wo ich zu Fuß den Busbahnhof wechseln muß. Kein Problem, ich frage mich durch und kann bei Ankunft gleich in den bereitstehenden Bus nach Karlovac einsteigen. Die Fahrt durch diesen bergigen und stark bewaldeten Teil des nordkroatischen Binnenlandes fasziniert mich. Man könnte glatt vergessen, daß man sich in einem Mittelmeerland befindet. Vielmehr erinnern mich Landschaft und Dörfer an die tschechische Sumava (Böhmerwald). Die Straße führt unterhalb des Rinsnjak - Gebirges vorbei. Besonders schön wird es beim kleinen Städtchen Skrad, welches oberhalb eines faszinierenden, waldüberzogenen Schluchtensystems liegt. Die nicht allzu lange dauernde Wanderung durch die Vrazji prolaz (Teufelsklamm) hätte ich noch liebend gerne mitgenommen, aber das Risiko ist mir zu groß, dann meinen Bus zurück nach Deutschland zu verpassen. Wie die Aussicht verspricht, dürfte es sich bei der Vrazji prolaz nicht um die einzige Schlucht in der Gegend handeln. Ich nehme mir jedenfalls vor, wenn irgendwie möglich, eines Tages diese Gegend des Landes, einschließlich natürlich des Risnjak - Nationalparks, in mehrtägigen Wanderexkursionen genauer zu erkunden.

Karlovac ist eine Stadt, wie man sie in den Ländern des ehemals sozialistischen Ostens häufig findet: um zum historischen Ortskern zu gelangen, muß man zuerst den typischen Ring aus eintönigen Plattenbauten und antiquierten Industrieanlagen durchbrechen. An der Gepäckannahme im Busbahnhof ist leider niemand anzutreffen, weshalb ich gezwungen bin, meine kleine Stadtexkursion mitsamt Marschgepäck anzugehen.

Die Einfahrt in die Stadt vorbei an durch von Granateinschlägen zersiebte Fassaden der Plattenbausiedlungen bringen die schrecklichen Erinnerungen an den Bürgerkrieg wieder zurück. Auch in der Altstadt scheint kaum ein Haus von derlei Narben verschont geblieben zu sein, am Trg Jelacica, dem Hauptplatz der Stadt, stehen von einer ehemaligen Kirche nur noch klägliche Mauerreste, offensichtlich die Folgen eines Volltreffers. Trotz der überall noch sichtbaren Relikte der einstigen Schlacht um Karlovac darf man sich diese Stadt aber keinesfalls als einen Trümmerhaufen vorstellen. Ich begebe mich zu der über den Fluß Kupa führenden Brücke, hinter der die Altstadt endet. Ein kroatischer Bekannter soll mir nachträglich berichten, daß an dieser Brücke die vorderste Frontlinie verlief, hinterher glaube ich mich sogar noch an entsprechende Fernsehbilder erinnern zu können. In Karlovac und vor allem in den östlich der Stadt gelegenen Dörfern stellten einst die Serben einen großen Bevölkerungsanteil, die Stadt befindet sich jedoch auf kroatischem Territorium. Das Unheil war somit bei Ausbruch des Bürgerkrieges vorprogrammiert. Das gesamte Gebiet westlich der Stadt blieb während des Krieges lange Zeit unter der Besatzung durch die serbischen Aufständler, die sich insbesondere aus den dortigen Dörfern rekrutierten.

Die wenigen mir verbleibenden Stunden in Karlovac zeigen mir eine durchaus sehenswerte Altstadt mit schönen, gelegentlich etwas maroden Häusern im barocken K.u.K. - Stil, und ich fühle mich sehr an meine Aufenthalte in der Tschechischen Republik erinnert. Wie Budjevice (Budweis), Domaslice (Taus) oder Trutnow (Trautenau) versprüht auch Karlovac (Karlsstadt) diesen typischen, herb - schönen Charme, der den Besucher gerne verweilen läßt und der sich völlig vom mediterranen Ambiente der Adriastädte unterscheidet. Es ist Sonntag, in den Gassen ist es ruhig, wenig Leute, wenig Verkehr. Die Altstadtcafes sind jedoch gut besucht, hauptsächlich von jungen Leuten.

Zurück am Busbahnhof bestelle ich ein Mittagessen, das so üppig ausfällt, daß ich mir momentan schwer vorstellen kann, vor unserer Ankunft in Deutschland noch einmal Hunger zu kriegen. Kaum ist der letzte Bissen unten und die Rechnung beglichen, da kurvt auch schon Josa´s Bus um die Ecke. Zwischen Zagreb und der slowenischen Grenze führt die Straße an Samobor vorbei. Ich denke an meine Freunde aus dem Velebit. Ihr Lokalpatriotismus scheint nicht übertrieben gewesen zu sein, das Städtchen liegt inmitten einer anmutigen Mittelgebirgslandschaft und auch mein Reisehandbuch weiß zu berichten, daß Samobor dem Besucher mit einer romantischen Altstadt aufwartet und mit interessanten Wandermöglichkeiten zu Mittelgebirgsgipfeln und alten Burgen in der Umgebung lockt. Ein weiteres Indiz dafür, daß noch so vieles in Kroatien für mich unentdeckt geblieben ist!

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